Pauschaltourist
Geldbörsensache ab.
Das Publikum lachte sich scheckig, und als wir, die Darsteller, anschließend an den reservierten Tischen saßen und unsere
karge Gage – zwei Freidrinks – schlürften, kamen nicht wenige Hotelgäste, um uns für die Bespaßung zu loben. Nina starrte
mich an, als wäre ich der Singlebörsen-Stalker, der ihr zusetzte und den sie zwischenzeitlich zu ehelichen beschlossen hatte.
Sie hing mächtig in den Seilen, schlug mir aber alle zwei Minuten auf die Schulter und äußerte Bewunderung über meinen Mut.
Ich empfand das überhaupt nicht so. Was ich getan hatte, taten Tausende Pauschalurlauber tagaus, tagein in solchen oder besseren
Clubs. Trotzdem war ich stolz wie Oskar.
Dann gingen wir abhotten, zu Jacky in die Hoteldisse, und ich fand mich plötzlich headbangend zu einer höhenlosen Version
von
The Offsprings
»Self Esteem« wieder. Nadine tanzte mir gegenüber und ahmte meine Bewegungen nach. Es ging nahtlos in einen Song von
Green Day
über, was mich vermuten ließ, dass Nina mit Jacky das Programm abgesprochen hatte, während mir irgendwer – Robby, Kevin –
ein Bier und einen Kurzen reichte, und so ging es weiter. Ein bis vier Stunden später stand ich vor meiner Zimmertür, war
durchgerockt bis zum Schließmuskel und hielt meine Rostockerin im Arm. Sie sah derangiert aus, ihre Augenlider flatterten,
und sie hatte große Mühe, aufrecht zu stehen – mir ging es ähnlich. Als ich gerade versuchte, meinen Zimmerschlüssel aus der
engen Jeans zu fischen, ohne Nadine fallen zu lassen, und sich parallel langsam der Gedanke manifestierte, dass ich eigentlich
sehr
viel lieber allein ins Bett gehen würde, spürte ich das Vibrieren meines Telefons in der Hemdtasche.
|162| Ich zog den Apparat hervor, nahm am Rand zur Kenntnis, dass meine Begleitung zu Boden rutschte, kniff die Augen zusammen und
starrte auf das Display. Mehr als die Uhrzeit – zwei Uhr dreißig oder achtunddreißig – konnte ich nicht erkennen. Ich tatschte
auf dem Touchscreen herum, hielt mir dann das Ding ans Ohr und brüllte: »Hallo?«
Nadine antwortete leise vom Fußboden: »Ich bin hier.«
»Lasse?«, fragte eine Frauenstimme aus dem Apparillo. Lasse nannte mich nur eine Person auf dieser Welt. Meine Mutter sagte
Nicky, mein Vater Niko, meine Freunde Nick.
»Silke«, stellte ich lallend fest. »Was willst du denn?«
»Bist du betrunken?«
»Aber hallo!«, krähte ich. »Voll wie ein Eimer in der Mannschaftslatrine.« Ich grinste stolz, weil ich das, ohne zu stottern,
herausgebracht hatte.
»Dann ist es wohl besser, wir reden morgen.«
Ich nickte, aber durch den Dunst erreichten mich zwei Informationen: Silke hatte um kurz vor drei Uhr morgens angerufen. Und
sie klang traurig. Ich atmete tief durch und stützte mich mit der freien Hand an der Wand ab.
»Was ist? Alles okay bei dir?«, fragte ich so bedächtig wie möglich.
»Eher nicht. Wann bist du wieder hier?«
Ich blinzelte und starrte die Tür an. Was war heute für ein Tag? Wann würden wir zurückfliegen? Keine Ahnung.
»Übermorgen«, schlug ich vor. »Oder überübermorgen.«
»Können wir uns dann treffen?« Sie klang wirklich übel.
»Logo. Ich ruf dich an.« Dann fiel mir das Ding aus der Hand, und als ich es wiedergefunden hatte, war die Verbindung weg.
Nadine lag in Embryostellung auf dem Teppich und schlief. Weil das so friedlich aussah und ich ohnehin keine Lust verspürte,
mein Bett mit ihr zu teilen, ließ ich sie dort liegen.
|163| 6.
Nadine und Madeleine sah ich nicht wieder, weil die Berufsschüler am Morgen des nächsten Tages heimflogen, und deshalb auch
Robby und Kevin nicht, was ich als den schmerzlicheren Verlust empfand. Aus diesem Grund hatte ich nach dem Aufstehen – gegen
Mittag – auch keine Chance mehr, mich bei der kleinen Rostockerin dafür zu entschuldigen, sie im Flur endgelagert zu haben,
aber ein wirklich schlechtes Gewissen hatte ich deswegen nicht. Ich ärgerte mich eher darüber, dass ich fast noch mal mit
ihr in der Kiste gelandet wäre, was aber
nichts
gegen die gemächlich einsetzende Verwunderung über Silkes späten Anruf war, an den ich mich erstaunlich gut erinnerte. Als
ich Nina beim mittäglichen Frühstückskaffee an der Poolbar gegenübersaß und meine Kollegin betrachtete, die wie ein (vorgegartes)
Huhn aussah, das man zu rupfen begonnen hatte, um mittendrin wieder damit aufzuhören, rätselte ich noch immer über die Hintergründe.
Natürlich hätte
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