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Pauschaltourist

Pauschaltourist

Titel: Pauschaltourist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Liehr
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ich sie einfach zurückrufen können, jetzt, sofort, aber ich wollte nicht. Warum – das war mir selbst nicht
     ganz klar. Mein Telefon lag ausgeschaltet im Zimmer.
    »Noch zwei Tage«, murmelte Nina und schob ihre Porschebrille in die Stirn. »Ich will hier weg.«
    Ich nickte. Andererseits war es egal – in vier Tagen wären wir auf Malle, danach in Portugal, dann in der Türkei und irgendwann
     in vier Wochen in Hurghada. Ich kam mir vor wie ein Marathon-Teilnehmer, der schon völlig erschöpft ist und dem ein Passant
     grinsend zuruft: »Durchhalten! Nur noch achtunddreißig Kilometer!«
    »Wir könnten einen Ausflug unternehmen. Fez, Marrakesch, Casablanca, so was«, schlug ich vor, ohne eine Ahnung davon zu haben,
     was als Tagesausflug überhaupt machbar war.
    |164| »Drehst du jetzt völlig durch?«
    »Irgendwas müssen wir doch machen. Oder willst du die nächsten viereinhalb Wochen ausschließlich mit Saufen zubringen?«
    Sie riss sich die Brille in einer energischen Bewegung von der Stirn und blaffte: »Kannst du
bitte
endlich damit aufhören, dir meine Scheißgedanken zu machen?«
    »Ich seh das rein pragmatisch«, gab ich lächelnd zurück. »Wir sind auf Geschäftsreise, und die Geschäfte laufen schlecht.
     Oder hast du was geschrieben?«
    Jetzt lächelte sie. »Ist schon in der Redaktion.«
    »Wow«, antwortete ich und wusste nicht, ob ich wütend oder erleichtert sein sollte. »Hätten wir nicht … zusammen?«
    »Ich habe beschlossen, dass wir das im Wechsel machen. Den ersten hast du, diesen ich, den nächsten wieder du. Ist doch eine
     feine Arbeitsteilung.«
    »Hast du beschlossen«, echote ich.
    Sie nickte, drehte sich dann zum Tresen. »Achmed, ein Bier bitte.«
    »Warum nicht.« Ich sah zu Jacky, der mit einem verschlissenen Volleyball unterm Arm am anderen Ende des Pools stand und wohl
     vergeblich auf Urlauber wartete, die Lust auf ein Spiel hatten. »Na gut«, sagte ich. »Dann mach ich mich allein auf die Socken.«
     
    Natürlich war es schon viel zu spät, um noch an einem Tagesausflug teilzunehmen, aber die wenig interessierte Rezeptionistin
     buchte mich für eine deutschsprachig geführte Tour am nächsten Tag. Der Bus würde mich um sieben einsammeln, gegen zehn am
     Abend wäre ich wieder im Hotel.
    Der »Bus« war ein japanischer Familienvan mit neun Sitzen, von denen noch einer frei war, als ich das Gefährt um zehn nach
     sieben bestieg, wodurch ich auf dem Beifahrersitz landete. Wie bei den meisten Fahrzeugen, die ich bisher in Marokko erlebt
     hatte, war auch hier die Farbe aufgrund des omnipräsenten Staubs nicht |165| zu ermitteln. Ich sagte höflich »Guten Morgen«, was die anderen Insassen brav zurückgaben. Nach dem ersten Eindruck handelte
     es sich um eine Gruppe Detmolder Sekretärinnen kurz vor dem Ruhestand. Zu meiner Verblüffung trugen die Damen Pullis und Strickjäckchen.
     Das war nicht ganz blöd, wie ich bald feststellte, denn die Klimaanlage des Gefährts lief auf Hochtouren. Unser Fahrer, der
     in Marrakesch auch unser Führer sein würde, stellte sich mir in Hochschuldeutsch als Mustafa vor. Ich nahm an, dass das nur
     ein Künstlername war. Die Damen duzten ihn, ich aber blieb beim Sie.
    Das Armaturenbrett war mit Bildern und seltsamen Gegenständen vollgestellt, die vermutlich religiöse Bedeutung hatten. Als
     ich den Fahrer fragte, wie er das befestigt hatte, sah er mich an, als wäre ich geistesgestört, und murmelte dann: »Klebe
     natürlich.«
Natürlich.
Ich Idiot.
    Wir knatterten in Richtung Nordwesten, die Entfernung bis Marrakesch betrug etwa zweihundertfünfzig Kilometer, zunächst am
     Atlasgebirge entlang, auch mal ein Stückchen hinein nach meinem Gefühl, dann ging es stetig nur noch aufwärts. Mustafa blieb
     zum Glück wortkarg, und die Damen im Fond flüsterten nur miteinander. Ich fühlte mich ein bisschen unwohl, also lehnte ich
     mich in die Kopfstütze und schlief kurz darauf ein.
    Als ich erwachte, war mir eiskalt und übel. Außerdem verspürte ich leichte Kopfschmerzen. Der Wagen schaukelte eine Gebirgsstraße
     entlang, zu meiner Rechten ging es sehr steil bergab, und auf der anderen Seite türmten sich schroffe Felsformationen. Scheiße,
     mir war richtig schlecht. Ich hätte am Vorabend nicht schon wieder den Hotelfraß essen sollen. Beim Gedanken daran setzte
     sofort der Würgereiz ein.
    »Anhalten!«, rief ich.
    »Hier kann ich nicht anhalten«, sagte Mustafa. Er wies nach vorne, ein Autobuswrack kam uns mit rasender

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