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Pauschaltourist

Pauschaltourist

Titel: Pauschaltourist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Liehr
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unwirklich aussah. In geschätzt einem Kilometer
     Entfernung entdeckte ich weitere Gebäude, in dieser Richtung musste auch der berühmte kilometerlange Strand liegen.
    Wir trafen uns am Pool, Nina trug wieder den blauen Einteiler und dazu ein buntes Hüfttuch. Sie stand vor einer Reihe Liegen
     und schien darüber nachzudenken, welchen bereits belegten Platz sie wählen sollte. Ich fand die Ecke eigentlich scheiße, weil
     sie direkt an das Kinderbecken grenzte, in dem sich eine indische Tagesproduktion lautstark tummelte, aber meine Kollegin
     wies auf meinen Einspruch hin stumm zum Himmel. Ich blinzelte hinter meiner Sonnenbrille, wodurch ich an die Schramme erinnert
     wurde. Aber Nina hatte recht. Nur hier gäbe es auch am späten Nachmittag noch Sonne. Wir kaperten zwei Liegen, deren Handtücher
     frisch gewaschen schienen und sich knochentrocken anfühlten. Natürlich beobachteten uns diejenigen, die die wenigen tatsächlich
     in Gebrauch befindlichen Poolplätze in der Nachbarschaft nutzten, aber es gab keinen Manfred, der aufstand, um uns anzublaffen.
     Ein Mann, etwa in meinem Alter, nickte mir sogar auffordernd zu.
    »Willst du was trinken?«, fragte Nina, als ich’s mir bequem gemacht hatte.
    »Klar. Was nimmst du?«
    »Mal schaun.«
    »Ich nehm dasselbe.«
    Sie kehrte mit zwei großen, eiskalten Apfelschorlen zurück. Ich nahm erst einen langen Zug und schob dann die Sonnenbrille
     in die Stirn.
    |195| »Ich vermute mal, dass ich wieder einen Rüffel kriege, wenn ich frage, was eigentlich mit dir los ist, oder?«
    Sie sah mich erst ernst an – und lächelte dann, strahlte sogar ein bisschen. Heute wirkte sie wie eine Frau, der es gutgeht.
     Sie schien ausgeglichen und wirkte glücklich.
    »Versteh einer die Männer«, erklärte sie und schnippte die Flip-Flops von den Füßen. Dann bewegte sie die Zehen und sah sich
     dabei selbst zu. »Erst wollen sie, dann wieder nicht, und wenn man dann selbst nicht mehr will, wollen sie wieder.«
    »Meinst du das eher allgemein oder speziell?«, fragte ich vorsichtig.
    »Beides.«
    »Aber über das Spezielle willst du nichts verraten, richtig? Geht es um irgendeinen Kerl aus einer Singlebörse?« Ich hielt
     es für keine gute Idee, irgendwelche Andeutungen zu machen, die meine Vermutungen offenbaren würden.
    Nina grinste. »Sagen wir mal so: Ich hatte eine gute Nacht, eine richtig gute. Alles andere ist meine Sache.«
    Ich wollte antworten, aber bevor ich das konnte, spürte ich eine Berührung an der Schulter. Ein schwammiger Spätvierziger
     mit Teilglatze stand neben mir und starrte mich durch eine schwach getönte Sonnenbrille mit hellblauer Fassung an, die sehr
     absurd aussah.
    Natürlich war das seine Liege, auf der ich mich befand. Nina stöhnte und ließ den Kopf nach hinten fallen. Ich wies stumm
     auf die Nachbarliege, auf der jetzt sein Handtuch lag. Der Mann, der irgendwie weichlich, fast feminin wirkte, überlegte einen
     Moment und entschied dann offensichtlich, dass es das nicht wert war. Er breitete sein Tuch auf der Liege aus, auf der ich
     es deponiert hatte. Dann setzte er sich im Schneidersitz darauf und beobachtete die spielenden Kinder. Seine Haltung war angespannt,
     aber sein Gesichtsausdruck ging ins Kontemplative. Und die Brille war wirklich vollkommen affig.
    |196| Ich drehte mich zu Nina, um unser Gespräch fortzusetzen, aber sie hatte die Augen geschlossen und atmete langsam. Also klappte
     ich die Rückenlehne meiner Liege in einen Sitzwinkel, klickte den iPod auf
Green Days
Masterpiece »American Idiot« und schlug mein Buch auf. Ich hoffte, dass Lesen in dieser Ecke der Insel gestattet war. Ab und
     zu warf ich einen Blick auf das vierzigjährige Riesenbaby auf der Nachbarliege, aber der Mann verharrte in seiner Yogaposition
     und betrachtete hochkonzentriert das Geschehen im Kinderbecken. Irgendwann tat ich es ihm gleich, weil ich eigentlich keine
     Lust auf das Buch hatte. Zwei Meter vor meinen Füßen ging der Betonboden, der den Pool umgab, in eine leichte, geflieste Schräge
     über, die ins Kleinkinderbecken führte. Gut die Hälfte der etwa tausend Zwerge war nackt. Auch meine Mutter hatte mich immer
     nackig ausgesetzt, wenn wir im Urlaub waren, meistens an der Nordsee. Schon mit dreieinhalb, vier Jahren war mir das sehr
     unangenehm gewesen. Ich hatte mich geschämt, mit meinem herumpendelnden Mini-Pillermann herumlaufen zu müssen, während alle
     älteren Kinder und vor allem die Erwachsenen Badehosen tragen durften.

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