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Pauschaltourist

Pauschaltourist

Titel: Pauschaltourist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Liehr
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A-cappella-Versionen diverser Kampftrinkergesänge. Als ich endlich meinen Koffer
     abgestellt und mich rücklings aufs Bett geworfen hatte, war es nur unbedeutend ruhiger. Die Fenster waren zwar geschlossen,
     aber den Lärm interessierte das herzlich wenig. Das Zimmer war kleiner als klein, ähnelte einer U-Haft-Zelle und war zuletzt
     wohl während des spanischen Bürgerkriegs renoviert worden. Das Bad entsprach keineswegs dem, was man landläufig unter diesem
     Etikett verstand. Es gab eine Kloschüssel ohne Brille und Deckel, eine dunkelgrau (eine wunderbare Farbe, um ausbleibende
     Reinigung zu kaschieren) geflieste Ecke, die von einem schimmligen, zerrissenen Duschvorhang abgegrenzt wurde und in der ein
     Wasserschlauch ohne Brausekopf hing, ein Handwaschbecken aus Schlumpfhausen und ein waschlappengroßes Handtuch, das vielleicht
     tatsächlich nur ein Waschlappen war und das so große Löcher aufwies, dass man es auch als Netzstrumpf hätte tragen können.
     Es roch nach angetrockneter Kotze mit dezenter Schimmel-Kopfnote und einem Hauch von Urin im Abgang. Okay, der Schuppen hatte
     nur zweieinhalb Sterne, Landeskategorie. Das Zimmer spiegelte meine Stimmung nahezu exakt wieder.
    Nina hatte sich lächelnd mit der Bemerkung »Ich hab was vor. Wir sehen uns spätestens morgen früh« vom Acker gemacht. Das
     bedeutete, dass ich diesen Tag allein überstehen musste. Da ich |188| zwar geschafft, aber nicht müde war, stieg ich in meine Strandklamotten, schnappte mir mein Buch und machte mich auf den Weg
     zum Platja de Palma. Der Strand war einen Katzensprung vom Hotel entfernt, aber dieser Sprung führte mich an allen Auswüchsen
     teutonischen Partyurlaubs vorbei. Wieder kam mir jener Skiurlaub in den Sinn, der riesige Après-Ski-Laden in den österreichischen
     Alpen, aber das hier steigerte es über alle fassbaren Grenzen hinaus. Erstaunlicherweise fand ich es dadurch irgendwie lustig,
     auf bizarre Art. Diese Insel könnte sich auch mitten in Duisburg oder Leipzig befinden, mit Spanien jedenfalls hatte das weniger
     als nichts zu tun. Jeder Laden, an dem ich vorbeikam, hatte einen deutschen Namen, und das galt für die Straßen, die mit saufenden
     Proleten vollgestopft waren, ebenso. Ich wich Trinkergruppen aus, deren Größen zwischen Pfadfindereinheit und Garnison variierten,
     die aber immer aus denselben Leuten zu bestehen schienen. Aus jeder Kneipe dröhnten strunzdusslige Partyhits, und am Strand
     war es keinen Deut ruhiger. Dabei war der Strand auf seine Weise wirklich schön, wenn man die krebsgeschwürartige Umbauung
     ignorierte und die Tatsache, dass die in überschaubaren Abständen aufgestellten Trinkkioske, von denen einer der berüchtigte
     »Ballermann 6« sein musste, von saufenden Unterschichtlern umlagert wurden, die dabei zu sein schienen, den Guinness-Rekord
     im Sichvölligdanebenbenehmen einzustellen. Ich suchte mir einen halbwegs ruhigen Platz, breitete mein Badetuch aus, stöpselte
     mich in den iPod, ließ den Blick noch einen Moment über die Bucht schweifen, die in einer Blickrichtung – aber nur in einer
     – sogar richtig schön war, und schlug mein Buch auf. Keine Ahnung, was ich erwartete. Die Ruhe dauerte nur wenige Minuten.
    Zuerst stieß mich jemand in die Seite, irgendwo am südlichen Ende des Rippenbogens. Ich rupfte schuldbewusst die Stöpsel aus
     den Ohren, weil ich annahm, eine obligate Strandnutzungsgebühr nicht gezahlt zu haben oder so. Aber da stand nur ein schnauzbärtiger,
     fetthaariger Trinkling Mitte zwanzig, der etwas grölte und |189| dabei mit der freien Hand fuchtelte. In der anderen hielt er eine Ein-Liter-Dose Bier. Es verblüffte mich, dass es diese Verpackungsgröße
     noch gab. Vielleicht produzierten die Brauereien sie nur noch für Mallorca.
    »Was ist?«, fragte ich so höflich wie möglich.
    »Bissewasbessers?«, donnerte der Typ.
    »Bissewas?«, wiederholte ich stirnrunzelnd.
    »Bisssewassbesssserrrsss?«
    »Inwiefern?«
    Er stierte mich an, seine Augen waren abwasserblau und rot gerändert, sein Grinsen trug pathologische Züge. Dann griff er
     nach meinem Buch und riss es mir aus der Hand.
    »Buch«, grunzte er.
    »Verstehe.«
    Dann sagte mein Gesprächspartner etwas, dessen Sinn sich mir nicht erschloss. Ich nahm an, dass ich dadurch, dass ich hier
     mit einem Buch saß und es tatsächlich zu lesen versuchte, ungeschriebene Gesetze, die nur in Arenal galten, gebrochen hatte.
     Ich nickte pflichtschuldig.
    »Tut mir leid«, erklärte

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