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Pauschaltourist

Pauschaltourist

Titel: Pauschaltourist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Liehr
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trank den ersten Alkohol
     des Tages, eine Cocktail-Hauskreation. Aber auch damit hielt sie sich zurück. Ich wollte unbedingt herausbekommen, was in
     der vorigen Nacht geschehen war.
    Zum Anfang des zweiten Sets forderte er Nina zum Tanz auf. Die runzelte belustigt die Stirn, ging aber auf das Angebot ein.
     Ich |201| blieb mit der unscheinbaren Verlobten am Tisch, die es vermied, in Richtung Tanzfläche zu sehen. Wir schwiegen uns eine Weile
     an, und kurz bevor ich die Idee vortrug, auch tanzen zu gehen, weil ich das Schweigen als
noch
peinlicher empfand, erklärte sie, nach dem Filius sehen zu wollen – und verschwand. Ich atmete auf und beobachtete beim dritten
     Bier die Nachbartische. Die Besetzung glich sich weitgehend, lauter Paare zwischen zwanzig und Mitte vierzig, viele in den
     »guten« Ausgehklamotten, einige Frauen trugen Cocktail- oder sogar Abendkleider. Sie strahlten. Die meisten Urlauber unterhielten
     sich angeregt und wippten im Takt der Musik mit den Füßen. Das hier, schlussfolgerte ich, war genau die Art von Erholung,
     die sie sich gewünscht, vielleicht erträumt hatten. Ein abgeschlossenes Rundumerholungsareal mit Kantine, Pool und zweitklassiger
     Abendunterhaltung. Vermutlich waren die meisten, die hier saßen, zuletzt in ihrer Jugend auf einem richtigen Konzert gewesen.
Elton John
oder so.
Chris Rea
. Bestenfalls
Deep Purple
.
    Dann entdeckte ich den Mann mit der hellblauen Sonnenbrille – die er jetzt nicht mehr trug, sondern eine normale Brille, wenn
     man von der Fassung absah, die aus acht bis zehn Metern Entfernung den Eindruck erweckte, orangefarbig zu sein. Er saß allein
     vor einem Glas Sekt, etwas abseits vom Geschehen, und ich sah ihm an, dass er sich nicht besonders glücklich fühlte. Sondern
     fehl am Platz. Einsam. Er trug ein dunkelblaues Marinejackett über einem weißen Hemd. Dadurch sah er aus wie ein verhätschelter
     Adelsspross jenseits der Heiratsgrenze.
    Vermutlich starrte ich ihn so intensiv an, dass er meinen Blick bemerkte, jedenfalls drehte er sich zu mir, unsere Augen trafen
     sich kurz, woraufhin er sofort wieder wegsah, als hätte ich ihn bei irgendwas ertappt. Dann schien er sich an mich zu erinnern.
     Er deutete ein Nicken an und lächelte sogar kurz. Anschließend vertiefte er sich wieder in sein Sektglas, ohne aber daraus
     zu trinken.
    |202| Nina besaß eine kleine schwarze Handtasche, die auf ihrem Stuhl lag und aus der jetzt eine Melodie erklang.
Robbie Williams
– »Feel«. Großer Gott. Das Telefon war so laut eingestellt, dass sich die Leute am Nachbartisch zu mir umdrehten, gehässig
     lächelnd, wie ich mir einbildete. Ich zuckte entschuldigend die Schultern und hob die Handtasche an, um zu demonstrieren,
     dass ich kein Mann wäre, der solche Musik hörte. Es ömmelte noch zwei Minuten lang, dann trat eine Pause ein, die aber nur
     Sekunden währte. Beim vierten Mal erbarmte ich mich und zog das Klavierlack-Edeltelefon aus Ninas Tasche. Ich drückte die
     Rufannahmetaste und wollte sofort erklären, dass die erwünschte Gesprächspartnerin abwesend wäre, aber bevor ich dazu kam,
     hörte ich Heino Sitz sagen: »Liebling, endlich. Wir müssen reden. Es gibt da ein Problem.«
    Aber hallo. Eine Sekunde lang war ich versucht, eine weibliche Stimme zu imitieren und als Nina mit meinem Chef zu reden,
     um mehr über dieses ominöse Problem zu erfahren. Aber bevor die Befehle mein Sprachzentrum erreichten, verwarf ich die Idee
     wieder. Stattdessen drückte ich die Verbindung weg, zog einen Seidenschal aus der kleinen Handtasche, wickelte das Telefon
     darin ein und stopfte alles zurück. Natürlich klingelte es sofort wieder, aber zu meiner Erleichterung so dezent, dass es
     von der Bühnenbeschallung übertönt wurde. Skurrilerweise spielten sie just in diesem Augenblick einen anderen Song des ehemaligen
Take-That - Mitglieds
. »Tripping«, wenn ich es richtig erkannte. Der Sänger kam nicht in die richtige Tonlage, aber außer mir interessierte das
     hier vermutlich niemanden.
    Sabine kam nicht wieder, dafür Nina und Peter. Sie schien eine Art Slalom um ihn herumzulaufen, sie gingen zwar nebeneinander,
     aber da sich Peter immer wieder in Körpernähe zu bringen versuchte, was Nina zum Ausweichen brachte, umtänzelten sie einander
     praktisch. Schließlich musste Peter hinter Nina zurückweichen, um nach ihr eine schmale Gasse zwischen zwei Tischen zu passieren.
     Sie nutzte die Gelegenheit, gab Gas und saß Sekundenbruchteile |203|

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