Pausen tun uns gar nicht gut
Oh Benecke,
bist du doof!
Wir finden ein nettes Cafe und frühstücken
reichlich. Als wir das Lokal verlassen, treffen wir wieder Patrik und die
beiden Italiener. Für die vor uns liegende Strecke decken wir uns noch mit
Getränken ein, denn es kommt jetzt eine 18 km lange schattenlose ebene
Landschaft auf uns zu. Meseta pur steht da in unserem Reiseführer, und wir
wandern auf Geröll durch eine eintönige, flache, einsame Landschaft immer
gerade aus. Eine Pilgerin überholt uns in einem zügigen Tempo. Sie zog in den
letzten zwei Tagen schon öfter mit ihrem hüpfenden Schritt an uns vorbei. Die
Zigarette scheint bei ihr nie zu erlöschen, und so ist sie schon von weitem zu
erkennen. Durch ihren Sauseschritt taufen wir sie kurzer Hand „Speedy
Gonzales“, wie die schnellste Maus von Mexiko. Heidi ordnet sie unter
Herkunftsland Italien ein. Auf meine Frage, wann sie in Saint-Jean-Pied-de-Port gestartet ist, zeigt sie uns ihren Pilgerpass und belegt, das sie einen Tag
nach uns in die Pyrenäen aufgebrochen und Spanierin ist.
Im Zuordnen von Nationalitäten
bist du so weitsichtig wie dein Bruder, halte ich Heidi provozierend entgegen.
Mein Schwager kann Stein und Bein schwören, so genannte Wolgadeutsche am
Äußeren zu erkennen, was uns kontinuierlich bei Familienfeiern aneinander
rasseln lässt. Ich kann Menschen asiatischer oder afrikanischer Herkunft von
Deutschen mit bloßem Auge erkennen, wie man aber Menschen, die in Kasachstan
geboren und noch dazu deutsche Wurzeln haben, von in Deutschland aufgewachsenen
Mitmenschen unterscheiden kann, bleibt mir ein Rätsel.
Bei dieser ewig langen Strecke
kann einem der Geduldsfaden schon reißen. Obwohl der nächste Ort im Reiseführer
eindeutig erwähnt wird und in meiner Tageskarte dieses Dorf eingezeichnet ist,
will dieses Calzadilla de la Cueza einfach nicht sichtbar werden.
Dabei ist diese Gegend flach
wie mit einem Lineal gezogen. Verlaufen ist unmöglich, es gibt nur diesen einen
Weg und dass der Ort so klein ist, das wir ihn schon passiert haben, halte ich
für wenig denkbar. Trotzdem drehe ich mich einige Male um und halte Ausschau,
obwohl das völliger Blödsinn ist. Nur ganz ausschließen will ich es eben auch
nicht mehr.
Endlich stehen wir am
Dorfeingang von Calzadilla de la Cueza, und dieses Kaff mit einer
Größenordnung von weniger als 50 Einwohnern fordert direkt zum Weiterlaufen
auf. Deshalb also diese 18 km lange Herausforderung, damit jeder Pilger
gezwungen wird, in dieser Unzumutbarkeit der Meseta zu pausieren. Dabei können
wir dankbar für das kühle Wetter sein. Bei 30° C diese Strecke zu wandern, muss
doch um ein Vielfaches anstrengender sein. Es ist Mittagszeit, und wir finden
eine kleine Bar, in der wir viele Pilger antreffen. Wir nehmen vor der Bar
platz, am Tisch sitzt eine Frau, die sich mit Brigitte vorstellt. Sie ist am
01. April im schweizerischen Genf losgezogen und hat jeden Meter
des Jakobsweges auf ihren Sohlen zurückgelegt. Sie befindet sich auf einer Art
Selbstfindungstrip und benötigt daher einen gewissen Abstand. Sie war 25 Jahre
für ihre Familie da, jetzt ist sie mal dran und genießt diese Auszeit.
Wir haben noch knapp 7 km bis Ledigos, unserer heutigen Tagesetappe, zu wandern und machen uns nach einer ausgedehnten
Mittagspause und einem Schnellkurs für Sinnsuchende wieder auf den Weg.
Heute ist der 07.06.2009 und
damit Wahlsonntag in der fernen Heimat. Die Europawahlen und Kommunalwahlen in
Sachsen-Anhalt stehen an, ihre Vertretungen sind neu zu bestimmen. Da ich
wiederholt für den Beetzendorfer Gemeinderat kandidiere, schwadronieren wir
schon den ganzen Tag über den möglichen Ausgang dieser Wahl. In Ledigos erwartet uns eine rustikale Privatherberge in einem geräumigen Bauernhaus. Für
16,- € bevorzugen wir ein einfaches Doppelzimmer, hinsichtlich der zu
erwartenden Anrufe wohl gut ausgewählt. Das Pilgermenü nehmen wir in gewohnter
Gesellschaft mit Wolfgang und Angelika zu uns. Die verpasste Geburtstagsrunde
vom Vorabend lässt uns anschließend noch in der Bar des Hauses bei Cola Whisky
zusammen sitzen. Wolfgang kann seinen beißenden Humor nicht unterdrücken und
meint, dass mein Handy keine Nachricht empfange, kann nur bedeuten, das ich
sang und klanglos durchgefallen bin. Er ist sich sicher, das man zuerst die
gewählten Vertreter benachrichtigt, denn für Ersatzkandidaten findet man auch
Montag noch Zeit. Für ihn kam Politik nie in Frage, weil man es nicht allen
Recht machen könne, da mache er lieber
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