Pausen tun uns gar nicht gut
ehemaliger Bautzenhäftling. Er wurde als
17jähriger wegen angeblicher Spionagetätigkeit nach dem sowjetischen
Militärstrafgesetz zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt und saß davon 5,5 Jahre
unter menschenunwürdigen Bedingungen im sozialistischen Strafvollzug ab. Als
gesunder Mann inhaftiert, entließ man ihn schwer lungenkrank nach fast 3 Jahren
Bewegungsunfähigkeit an ein Gipsbett gefesselt in ein Krankenhaus. Seine
Lebensgeschichte hat mich sehr berührt. Sein unbändiger Wille, sein Lebensmut
ist bewundernswert und ließ Achtung in mir wachsen. Für Verbitterung ließ er in
seinem Herzen keinen Platz. Wie ein Mensch trotz ihm zugefügtes Unrecht zwar
nicht vergessen aber dennoch verzeihen und anschließend ein liebevolles Leben
führen kann, erstaunt mich noch immer.
Er ist so schnell beim Beantworten
der elektronischen Nachricht, dass ich manchmal glaube, er lässt sein Handy
nicht aus den Augen. Sofort sucht er den Ort, an dem wir uns befinden, auf der
Karte und berechnet die vor uns liegenden Kilometer. Es macht ihm
offensichtlich Freude, auf diese Art unsere Reise zu begleiten.
Wir wandern weiter, die Sonne
haut uns unsere ausgedehnte Verschnaufpause um die Ohren, das es nur so kracht.
Wie schon zwischen Tricastela und Sarria gibt es
immer wieder zahlreiche kleine zerstreute Dörfchen. Dicht an dicht folgen Orte
mit seltsam klingenden Namen: Vilei, Barbadelo, Peruscallo, Brea,
Mogarde... Die Dörfer werden stellenweise durch Wege aus großen Steinen
verbunden, die schon zu Zeiten der Römer existierten und heute dementsprechend
verwittert sind. Rechts und links wird der Pilgerweg durch hohe Steinmauern
eingefasst. Selbst auf diesem schlecht zu gehenden Pfad sind Fahrradpilger mit
ihren Mountainbikes unterwegs und fordern uns immer wieder auf, für sie Platz
zu machen. Auf einem Meilenstein erkennen wir deutlich die 100 Kilometermarke
bis nach Santiago, obwohl der Stein bedauerlicherweise völlig
beschmiert ist.
In unserer angestrebten
Herberge im Dorf Ferreiros sind alle Plätze belegt. Vor dem lieb
renovierten Bauernhof sitzen jede Menge Pilger, die ihre Hoffnung, für heute
hier unterzukommen, nicht aufgeben wollen. Wir setzen uns zu Rudi, der frisch
geduscht mit einer Spanierin plaudert. Gemeinsam warten wir auf Angelika und
Wolfgang. Unser Reiseführer vermittelt uns unmissverständlich, dass sich die
nächste Herberge im fast 10 km entfernt gelegenen Portomarín befindet. Zu viel für unsere geschundenen Füße, ich sehe uns schon die erste
Nacht im Freien verbringen. Da erkundigt sich Rudis neue Bekanntschaft beim Wirt
in der Gaststube, ob sich für uns noch was machen lässt. Sie erfährt, dass im 3
km entfernten Moimentos eine neue privat geführte Herberge
eröffnet hat. Sie reserviert telefonisch für uns ein Bett, obwohl dies völlig
unüblich ist und gegen jede Regel verstößt. Singender Weise bewältigen wir die
noch vor kurzem für unmöglich gehaltene Strecke. Wir sind ein begnadeter Chor.
Dabei hilft Wolfgang uns mit seiner Textsicherheit über manche Lücke hinweg.
Angekommen erwartet uns ein Schmuckstück mit einer großen Liegewiese. Das
Pilgermenü ist hervorragend, und wir vier schnattern wieder bis ultimo.
17.06.2009
Moimentos
— Palas de Rei 31 km
Diese Nacht ist der Hammer, um
1:30 Uhr treffen unsere vier Zimmernachbarinnen ein. Stark alkoholisiert
betreten sie unseren Schlafraum. Ehe endlich Ruhe einkehrt, ist es 2:30 Uhr.
Sie geben Töne von sich, die bestialische Gerüche nach sich ziehen und jedes
Mal mit einem Gekicher untermalt werden. Ab 3:00 Uhr gehen sie der Reihe nach
auf die angrenzende Toilette und lassen dabei die Türen auf. Was es nun zu
hören gibt, traut man in der Regel Frauen nicht zu.
Meine Begeisterung wächst, weil
jetzt die übrigen Pilger aus den Nachbarzimmern im Zehnminutentakt austreten
müssen und sich im Klodeckelschmeißen und Hochziehen von nächtlichen
Ablagerungen übertreffen.
Um 5:30 Uhr ist unsere Geduld
endgültig vorbei und wir beschließen, unsere Sachen zu packen und in den noch
dunklen und nebeligen Morgen zu verschwinden.
Vor Portomarín erwartet uns eine moderne Brücke, die den breiten und wasserreichen Fluss Miño
überquert. 1962 wurde hier ein Stausee eingeweiht und die wichtigsten Bauwerke
des alten Ortes Stein für Stein auf einer Anhöhe neu errichtet. In regenarmen
Jahren soll man einige Überreste des alten Portomarín durch das
Wasser schimmern sehen. Es ist 7:00 Uhr, als wir die Freitreppe
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