Pausen tun uns gar nicht gut
zur Kapelle Las
Nieves hinauf steigen. Der Ort ist um diese Zeit fast menschenleer. Ein Café,
das um diese Zeit schon geöffnet hat, bietet uns ein gutes Toastfrühstück mit
einem großen Pott Kaffee.
Dabei beobachten wir Reisebusse,
die Pilger in Massen ankarren. Man muss wissen, um an die begehrten
Pilgerurkunden zu gelangen, muss man die letzten 100 km bis Santiago gepilgert
sein. Wir ahnen Schlimmes, denn ab jetzt werden Herbergsbetten Mangelware sein.
Portomarín hinter uns lassend, treffen
wir auf ein Pärchen aus Norwegen, das diese Reise voll organisiert über ein
Reiseunternehmen gebucht hat. Das Gepäck wird ihnen etappenweise von Hotel zu
Hotel gefahren und so wundert es nicht, das sie nur mit einem Tagesrucksack
unterwegs sind.
In Palas de Rei angekommen, es ist gerade 14:00 Uhr, ergattern wir erwartungsgemäß mit Ach und
Krach für uns ein Bett in einer Privatherberge. Es ist drückend heiß und ich
freue mich, dass wir unser Ziel heute so früh erreicht haben. Zu ertragen ist diese
Gluthitze außerhalb von Gebäuden nur noch unter einem Sonnenschirm und die
Temperatur sinkt bis 18:00 Uhr in keinster Weise. Wir gönnen uns beide eine
halbstündige Massage gleich gegenüber unserer Herberge, die richtig gut
ankommt. Rudi, Wolfgang und Angelika trudeln ein und kommen nur noch in einem
Hotel unter, weil sämtliche Herbergen überfüllt sind. Wir beschließen zu Abend
zu essen und politisieren wieder nebenbei. Rudi aus der Schweiz lästert über
das deutsche Steuersystem und stört sich ganz besonders am deutschen
Finanzminister, der es wagt, die Schweiz und Lichtenstein wegen ihrer
Geldpolitik zu kritisieren. Daraufhin versuche ich, ihm anhand eines Beispiels
den deutschen Standpunkt zu erklären. Ich sage zu ihm: „Stell dir vor, du heißt
Peer Steinbrück und ich bin die Schweiz. Der Wolfgang klaut dir deine Geldbörse
und gibt sie mir. Ich, die Schweiz, weiß dass Wolfgang dir die Börse geklaut
hat, aber sage, es geht mich ja nichts an. Jetzt verborge ich dein Geld an
Angelika und die beiden Franzosen am Nachbartisch, natürlich gegen satte
Zinsen”. Rudi scheint genervt und fordert mich auf, meine Provokationen
einzustellen. „Siehst du”, sage ich, „und genau so fühlt sich Peer Steinbrück”.
Rudi ist trotzig und behauptet, dass die DDR-Propaganda bei mir bis heute
nachwirkt. Wir können gemeinsam drüber lachen und essen wieder einmal
vorzüglich. Heidi unterhält besonders gern und es erstaunt mich immer wieder,
wie ausgewechselt sie ist. So wie sie am Tage schimpft und jammert, so
überschwänglich erzählt sie abends bei Tisch, gerade als ob sie tagsüber durch
die Hölle geht und abends im Himmel sitzt. Manchmal möchte man meinen, in ihr
stecken zwei verschiedene Menschen.
18.06.2009
Palas
de Rei — Arzúa 31 km
Um 6:00 Uhr geht das Licht an
und das ganze Zimmer ist am Packen. Wir beide sind die letzten, die das Zimmer
verlassen und noch ganz verdattert wegen des überfallartigen Aufbruchs. Wir
verlassen Palas de Rei und gehen in Kolonne. Eine ganze Schar von
Pilgern ist bereits auf den Beinen. Der Vorteil an dieser Form des Wanderns
ist, dass man sich nicht so auf den Weg konzentrieren muss und immer nur den
Massen hinterher rennt. Nach 1,5 Stunden strammen Fußmarsch machen wir
Frühstück vor einer Bar, dabei nervt uns eine Busladung aus Tschechien. Sie
steigen aus ihrem klimatisierten Reisebus und lassen sich für uns unfassbar,
einen Stempel in ihren Pilgerpass drücken. Während wir uns brav anstellen,
belagern sie unseren Platz, obwohl unser Gepäck auf den Stühlen steht und damit
klar ersichtlich ist, dass sich hier gleich jemand niederlassen möchte. Selbst
als sie mir den Finger zwischen Stuhl und Wand klemmen und nicht eine Geste der
Entschuldigung erkennbar ist, bleibe ich immer noch ruhig. Von da an bin ich
mir sicher, der Weg hat auch mich verändert. Noch vor gut vier Wochen hätte ich
denen in dieser Situation den Tisch umgekippt und sie der Reihe nach in ihrem
Bus angegurtet. Statt dessen suche ich geduldig einen anderen Platz und
schlürfe gelassen meinen Kaffee.
Der Weg nach Santiago wird immer leichter, aber die vielen Pilger verdrängen uns schrittweise aus unserer
selbst gewählten Auszeit. So langsam begreife ich, das unsere Reise
unaufhaltsam dem Ende entgegen geht. Wie wird uns dieser Wallfahrtsort Santiago
de Compostela wohl empfangen?
Wir gelangen um die Mittagszeit
in die Kleinstadt Melide, die wie die navarresische Stadt
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