Pausen tun uns gar nicht gut
Kap.
In der Herberge fällt mir eine
Pilgerin mit Kurzhaarfrisur auf. Sie steckt in einem orangefarbenen
Mönchsgewand und macht mich ungeheuer neugierig. Als ich sie anspreche und sie
mit Fragen bombardiere, antwortet sie geduldig. Sie hat sich dem Hinduismus
verschrieben und lebt in völliger Bedürfnislosigkeit. Sie berichtet mir von
ihrer Zeit in Indien, von Prüfungen, die sie unter Mönchen ablegen durfte, und
dass sie jetzt einen indischen Namen trägt.
Den Weg zum Kap gehen wir in
großer Runde.
Ecki geht es nicht gut, aber er
schlägt sich tapfer. Wir machen Fotos, erzählen von gemachten Erfahrungen und
verbrennen unterhalb des Leuchtturms nach altem Brauch verschlissene
Kleidungsstücke. Schweigend betrachten wir den Sonnenuntergang. Das Ende der
Welt ist nicht hier. Es ist auch nicht auf der anderen Seite des Ozeans, das
Ende der Welt ist nirgendwo. Die Menschheit irrte sich eine lange Zeit, in der
sie annahm, dass es hier nicht mehr weitergeht. Dabei hätte sie sich nur fragen
müssen: was kommt hinter dem Nichts?
Dafür, dass die Sonne im Meer
ertrinkt, um am folgenden Tag auf der entgegen gesetzten Seite wieder
aufzutauchen, braucht es viel Phantasie. Wer weiß, wie in Zukunft über uns
geurteilt wird? Vielleicht waren die Lösungen für die heutigen Probleme so
einfach, das sich jedes Kind über das Leben im Jahr 2009 vor Lachen den Bauch
hält.
Ich beobachte eine Weile die
Frau in dem Mönchsgewand. Sie verharrt im Schneidersitz auf einem Stein und
starrt bis zum Eintritt der Dunkelheit in völliger Bewegungslosigkeit aufs
Wasser. Ist sie ihrer Zeit voraus oder lebt sie nur in einer Scheinwelt?
Uns bietet sich am Horizont ein
großartiges Schauspiel. Die Sonne ist hin und wieder von Wolken verhangen,
kämpft sich durch und verschwindet gänzlich im Meer.
Wir verlassen das Kap und
schauen in der Nähe unserer Herberge auf lodernde Flammen, die die
Sommersonnenwende einläutet. Ich verabrede mich mit Ecki und Hubert für den
morgigen Tag, um noch nach Muxía zu wandern und weiß, dass ich
mich damit von Angelika und Wolfgang verabschieden muss. Die beiden werden
morgen die Heimreise antreten und das „Machs guad“ sagen, fällt mir besonders
schwer. Ich bin mir sicher, auch wenn wir uns in Zukunft gegenseitig besuchen,
so wie hier wird es nie wieder sein.
24.06.2009
Kap
Finisterre — Muxía 30 km
Um 6:30 Uhr weckt Ecki mich und
wir verlassen die Herberge. Ohne etwas zu frühstücken, suchen wir den
Kirchplatz auf, um uns wie am Vorabend verabredet mit Hubert zu treffen. Hubert
trifft fast pünktlich ein und wir drei machen uns auf den Weg nach Muxía. Warum er seinen Rucksack mitschleppt, obwohl wir abends wieder in Finisterre sein wollen, weiß Hubert zu begründen. Zu faul etwas auszupacken sei er
gewesen, erzählt er uns. Ganz ohne Rucksack könne er auch nicht mehr wandern.
Nach fünf Wochen auf dem Pilgerweg nehme ich so eine Antwort gelassen hin. Hier
rennen so viele verschiedene Typen rum, dass aus Sicht des Alltags normale
Antworten auffallen. Der Weg aus Finisterre Richtung Muxía ist nicht einfach zu finden, aber dank Eckis neuem Reiseführer bewältigen wir
die Schwierigkeit ohne Probleme. Ein wundervoller Weg beginnt, und wir streifen
ziemlich einsam durch Wälder und Dörfer. Hubert erzählt von sich und seiner
Familie, die aus Frau und drei Kindern besteht. Seinen Urlaub hat er im
Freundes — und Bekanntenkreis geheim gehalten, weil es ohnehin niemand
verstanden hätte. Er fährt jeden Tag mit dem Fahrrad 11 km zur Arbeit und läuft
ab und an einen Marathon. Sein ältester Sohn hatte vor kurzem einen schweren
Verkehrsunfall und musste mehrere Operationen über sich ergehen lassen. Er sei
ein miserabler Autofahrer und hat schon das zweite Auto zu Schrott gefahren.
Das kommt mir bekannt vor, erwähne ich, ich habe eine Tochter, die mit dem
Führen von Kraftfahrzeugen auch so ihre Probleme hat.
An einem runtergekommenen
Gehöft steht ein unangeleinter Schäferhund und begrüßt uns mit einem
gefährlichen Knurren, er lässt uns vorbeiziehen und folgt uns in einem geringen
Abstand. Keiner von uns gibt einen Ton von sich. Mir geht ein Fernsehbericht
aus Afrika durch den Kopf. Der Löwe suchte sich immer die kleinste und
angeblich schwächste Antilope als Opfer aus. Ecki ist eindeutig kleiner als
ich, ob die Bestie hinter uns das genauso sieht? Als ich den beiden im Gehen
meine Gedanken erzähle, wirkt Ecki angefressen und fragt mich, wie ich
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