Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Paxson, Diana L.

Titel: Paxson, Diana L. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Zauber von Erin
Vom Netzwerk:
Stimmen, die seltsame, endlose Muster reinen Klangs flochten. Immer lauter sangen wir, und die Klangfolgen wechselten immer rascher. Mairenn hob die Hände und schlug sie auf die Schenkel, in einem Takt, der uns beruhigte, während er uns gleichzeitig tiefer in jenen Ort trieb, zu dem der Trank uns die Tür geöffnet hatte.
    Die Zeit dehnte sich, zog sich zusammen und dehnte sich aufs neue. Mairenns Kopfputz war durch die Heftigkeit ihres Wiegens heruntergefallen, und ich sah ihren nackten Kopf, auf dem das geschorene graue Haar an ein Stoppelfeld erinnerte, auf dem nicht einmal die Vögel mehr Nahrung zu finden vermochten. Aber es spielte keine Rolle. Meine Aufmerksamkeit galt dem Flackern von Bildern, die sich nie wirklich sehen ließen, sondern wie mit Rabenschwingen in die Dunkelheit flatterten. Dazu erklang ein Rauschen wie von vielen Stimmen, deren Worte ich nicht ganz zu verstehen vermochte. Tiere tauchten aus tintigen Gewässern und versanken wieder – ein Schimmel, ein schwarzer Eber, ein Rabe mit schneeigen Gefieder, der seine Verzweiflung hinauskrächzte…
    Dann tastete die Königin in die Wandnische und zog des Morholts Kopf heraus. Das verhüllende Tuch fiel ab. Summend drückte sie ihn an die Brust und strich über das strähnige Haar. Die Gesichtshaut sah wächsern aus, die Züge waren bereits geschrumpft. Es war nicht das Gesicht von jemandem, den ich je gekannt hatte; es sah nicht einmal mehr wie das eines Mannes aus. Doch Mairenn küßte es, als wäre es ihr Liebster oder ihr Kind. Sie küßte die Lippen, die Stirn, das blutverschmierte Haar.
    Abrupt hielt sie inne. Selbst in unserer geistigen Abwesenheit konnten Esseilte und ich ihre Anspannung spüren, und unser Summen verstummte, während wir sie anstarrten.
    »Seht – er spricht bereits zu uns!« Die Stimme der Königin schien von weither zu kommen. Ihre Finger betasteten die große Wunde in des Morholts Kopf, und plötzlich glitzerte der Kerzenschein auf einem gezackten Stück Stahl. »Das ist von des Mörders Schwert! Ich werde mich seiner bedienen, um damit den Mann in unsere Macht zu ziehen, sobald ich seinen Namen erfahren habe!«
    Behutsam legte sie das Bruchstück neben eine Kerze. Dann griff sie wieder nach dem Trinkgefäß, schöpfte damit ein wenig des Trankes und flößte ihn dem Toten ein. Dunkle Flüssigkeit rann über die grauen Lippen und aus den Mundwinkeln und befleckte die fahle Haut. Ein bißchen gelangte in den Mund, sickerte die Kehle hinunter und tropfte auf erschreckende Weise aus der offenen Gurgel. Mairenn nahm ein wenig auf die Fingerspitzen. Damit betupfte sie seine Stirn und die geschlossenen Augen. Dann stellte sie den Kopf auf die Herdstufe, mit den Kerzen ringsum. In dem unsicheren Licht sah es aus, als bewegten sich seine Züge.
    »Nun wirst auch du die Worte der Macht haben«, flüsterte sie. »Nun wirst du zu uns sprechen, wie wir zu dir.« Sie winkte, und Esseilte und ich traten zu ihr, so daß wir drei dem Kopf auf der Stufe gegenüberstanden.
    »Höre mich, mein Bruder, mein Geliebtester – ich rufe dich, komm jetzt zu mir! Erinnerst du dich, wie ich dich tröstete, wenn diese Frau dich schlagen ließ, weil du das Kind ihrer Nebenbuhlerin warst? Erinnerst du dich, wie ich mich mit dir freute, als du ihren Sohn getötet hast? Und als du begannst, unsere Feinde zu vernichten?« Die Stimme der Königin zählte Hunderte von Erlebnissen auf – Taten, die allen bekannt waren, doch die nur diese beiden verstanden, und Taten, von denen nur sie wußten. Ihre Stimme wurde heiser und brach schließlich, doch ich spürte, daß etwas in dem Raum lauschte.
    »Höre mich, mein Oheim, mein Recke«, tat Esseilte es ihr gleich. »Ich rufe dich, komm jetzt zu mir! Erinnerst du dich, wie ich meinen ersten Schritt tat und mich an deiner Hand festhielt? Erinnerst du dich, wie du mich vor dir auf dem Sattel hieltest und mich deine kleine Königin nanntest?« Esseiltes Aufzählung war kürzer, erfreulicher, doch sie endete in Tränen. Dann blickten sie und ihre Mutter mich an.
    »Höre mich, mein Vater, mein Freund…«, flüsterte ich schließlich. »Es gibt nichts, was wir je teilten und an das ich dich jetzt erinnern könnte. Da ist nur das Blut, das durch meine Adern rinnt, und die Familie, die du mir gegeben hast. Um Esseiltes willen rufe ich dich, komm jetzt zu mir!«
    Zunächst flüsternd, dann immer lauter riefen wir seinen Namen, wieder und immer wieder, während die Stube um uns wirbelte, und der Kräutersud, den wir

Weitere Kostenlose Bücher