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Peacemaker

Peacemaker

Titel: Peacemaker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Gordon
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laufen. Er blickte sich um. Weit und breit war kein Bach zu sehen. Er wusste, dass er einen finden würde, wenn er weiterlief. Aber trotzdem …
    Aber trotzdem schien weder sein Kopf noch sein Körper in der Lage zu sein, sich in Bewegung zu setzen. Er konnte sich einfach nicht entscheiden. Welchen Weg sollte er nehmen? Den rechten oder den linken? Er starrte nach oben in den Himmel. Ein Sonnenstrahl durchbohrte das Laubwerk, traf seine Augen und blendete ihn kurzzeitig. Ihm wurde vage bewusst, dass er es übertrieben hatte, dass er seinen Körper zu stark hatte austrocknen lassen. Er schloss die Augen.
    Wie weit bin ich gelaufen?, fragte sich Gideon. Bin ich überhaupt in der Nähe von Kampung Naga? Ihm fiel auf, dass er schon vor langer Zeit aufgehört hatte, seine Schritte zu zählen. Wie lange war »vor langer Zeit«? Vor fünf Minuten? Vor fünf Stunden? Er hatte keine Ahnung.
    Gideon erhob sich schwankend, mit geschlossenen Augen, und wartete darauf, dass er wieder umfiel.
    Es ist nur eine Frage der Zeit, bis meine Beine nachgeben, dachte er. Nur eine Frage der Zeit.
    Doch er fiel nicht um. Stattdessen roch er etwas.
    Rauch.
    Ein vages Signal drang in sein Bewusstsein. Rauch. Rauch bedeutete Menschen. Menschen bedeuteten Wasser.
    Als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass sich neben seinem Gesicht die Blätter eines Buschs bewegten. Der Wind drückte sie nach rechts. Das bedeutete, der Rauch kam von links. Wenn er den Weg nahm, der nach links führte, würde dieser ihn zu dem Feuer bringen.
    Er taumelte und verlor beinahe das Gleichgewicht, bevor er weiterlief. Womöglich lief er nicht tatsächlich. Vielleicht handelte es sich in Wirklichkeit nur um langsames, schmerzhaftes, torkelndes Gehen, doch es fühlte sich an wie ein Sprint.
    Während Gideon dahinstolperte, schweiften seine Gedanken ab, kehrten zu dem Tag zurück, an dem er seinen Bruder zum letzten Mal gesehen hatte. Politik. Das war es, worüber sie sich gestritten hatten.
    Was war absurder als ein Streit über Politik? Gegen eine Diskussion – selbst gegen eine hitzige – war nichts einzuwenden. Nichts war verkehrt daran, wenn zwei Brüder ein paar scharfe Worte wegen politischer Differenzen wechselten. Aber dass zwei erwachsene Männer, die zudem auch noch Brüder waren, wegen politischer Meinungsverschiedenheiten den Kontakt miteinander abbrachen? Das war verrückt. Und wenn Gideon die Sache objektiv betrachtete, war es seine Schuld gewesen.
    Es war etwas mehr als sieben Jahre zuvor passiert. Damals hatte Gideon noch dem Lehrkörper der Universität Princeton angehört und hatte an der Woodrow Wilson School für internationale Beziehungen unterrichtet. Er hatte sich regelmäßig in New York aufgehalten, weil er nebenbei für die Vereinten Nationen arbeitete. An einem Spätnachmittag hatte Tillman angerufen und ihm mitgeteilt, dass er auf der Durchreise nach New York komme, ehe er zu einer verdeckten Operation aufbreche, wie er es nannte. Er hatte gesagt, er wolle sich unterhalten.
    Gideon war kurz zuvor ein dauerhafter Posten als Fellow bei den Vereinten Nationen angeboten worden, ein Traumjob, der es ihm erlaubte, weiterhin in Princeton zu lehren, während er als Sondervermittler in verschiedene Krisengebiete auf der ganzen Welt geschickt wurde. Damals hatte er das Gefühl gehabt, den Höhepunkt seiner Karriere erreicht zu haben. Er wollte seinem Bruder die Neuigkeiten von seiner Berufung mitteilen, hatte jedoch vor Begeisterung über seinen neuen Job den Fehler begangen, Tillman in den Princeton Club in Midtown einzuladen, um sich dort mit ihm zu treffen.
    Gideon war dem Princeton Club aus einer Laune heraus beigetreten und hielt sich so gut wie nie in dem holzvertäfelten Clubhaus in der dreiundvierzigsten Straße auf. Doch als Tillman angerufen hatte, wollte Gideon ihm zeigen, dass sich all die Jahre der Entbehrung an der Universität, all die Jahre, die er in Bibliotheken verbracht hatte, all die Jahre der Opfer und der harten Arbeit letztendlich ausgezahlt hatten. Hier bin ich, wollte er sagen. Sieh dir an, was ich erreicht habe.
    Gideon war zu spät gekommen – seine Besprechung bei den Vereinten Nationen hatte sich hinausgezögert –, und Tillman hatte mit finsterer Miene in der Lobby auf ihn gewartet. »Dieses Arschloch da drüben ist mindestens fünf Mal zu mir hergekommen und hat mich gefragt, ob er mir helfen kann«, hatte Tillman wütend gesagt und auf einen hochnäsigen Mann am Empfang gedeutet. »Trage ich etwa ein Schild auf

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