Peacemaker
meine Hilfe. Ich kenne diese Bohrinsel besser als jeder andere. Ihre Worte.«
Sie hatte recht. Auch wenn dem nicht so gewesen wäre, Gideon spürte, dass sie eine Frau war, die sich nicht so leicht umstimmen ließ, nachdem sie eine Entscheidung getroffen hatte.
Kate knüllte den Overall zusammen und warf ihn ins Meer. »Sind Sie sicher, dass Sie wissen, wie man diese Bombe entschärft?«
Gideon warf einen Blick auf die Brücke. Die Gasflamme war jetzt ein gutes Stück kleiner als noch vor wenigen Momenten. »Das Feuer geht aus«, sagte er. »Wir müssen los.«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, sagte sie.
»Ich weiß.«
SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Gideons Vater hatte mit seinen Söhnen nie über seinen Militärdienst gesprochen. Er hatte keine Sammelalben mit Fotos von seinen Kriegskameraden besessen und keine eingerahmten Medaillen, die an den Wänden seines Büros hingen. Bei einem Mann, der so viel Zeit mit Waffen verbracht hatte, wäre es eigentlich eine Selbstverständlichkeit gewesen, wenn er seine Zeit beim Militär zumindest einmal erwähnt hätte.
Doch das hatte er nicht.
Deshalb waren Gideon und Tillman überrascht gewesen, als sie erfuhren, dass ihr Vater darum gebeten hatte, auf dem Nationalfriedhof Arlington beerdigt zu werden. Sie saßen in einer Anwaltskanzlei, als sein Testament verlesen wurde.
»Ähm … muss man dazu nicht Kriegsveteran sein oder so?«, hatte Gideon gefragt.
Mr Faircloth, der Anwalt, hatte aufgeblickt und eine Augenbraue hochgezogen. »Euer Vater hat vier Jahre lang beim United States Marine Corps gedient. Das war euch doch bekannt, oder etwa nicht?«
Die Jungen hatten ihn verdutzt angesehen.
Anschließend hatten Tillman und Gideon darüber diskutiert. »Vier Jahre beim Militär, und er hat uns nie was davon erzählt?«, sagte Gideon.
»Vielleicht ist er rausgeflogen, weil er einen Offizier verprügelt hat oder so«, schlug Tillman vor. »Ich meine, warum hätte er es uns nicht erzählen sollen, es sei denn, er hat Mist gebaut?«
Gideon schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, sie hätten bestimmt nicht erlaubt, dass er dort beerdigt wird, wenn er unehrenhaft entlassen worden wäre.«
»Ist mir so oder so schnurzegal«, sagte Tillman. »Der Mistkerl hat unsere Mutter umgebracht. Meinetwegen kann er in einem Armengrab verrotten.«
Während Gideon Tillmans Wut teilte, fehlte Tillman Gideons Neugier. Nach dem Ereignis in Mr Faircloths Kanzlei fragte Gideon sich, was ihnen ihr Vater noch alles verheimlicht hatte.
Doch die beiden Brüder sprachen nie über ihren Vater. Von dem Moment an, als Gideon sich zu seinem Bruder auf die Stufen zur Eingangstür gesetzt hatte – während die Leichname ihrer Eltern noch hinter ihnen im Haus lagen –, hatte es den Anschein, als hätten sie stillschweigend einen Pakt geschlossen, einen Vorhang vor die Vergangenheit zu ziehen. Ihr bisheriges Leben war zu Ende, begraben zusammen mit ihren Eltern.
Rückblickend fiel Gideon keine einzige Unterhaltung ein, bei der sie über ihren Vater gesprochen hätten. Manchmal schwelgten sie in Erinnerungen an ihre Mutter, doch ihren Vater zu erwähnen, war streng tabu – was er zu Lebzeiten getan hatte, was für ein Mensch er gewesen war oder wie er gestorben war.
Und trotzdem hatte Gideon die Dose, die sein Vater mit der Beschriftung »Für meine Jungs« in dicker Blockschrift in seinem Safe aufbewahrt hatte, Jahr um Jahr aufgehoben. Tillman hatte sie wegwerfen wollen. Deshalb hatte Gideon sie jedes Mal mitgenommen, wenn er umgezogen war – vom Schlafsaal in die eigene Wohnung –, aber nie einen Blick hineingeworfen. Manchmal glaubte er, sich nicht überwinden zu können, die Dose zu öffnen, weil er Angst vor dem hatte, was er darin finden würde, irgendein dunkles Geheimnis aus seiner Vergangenheit, dem er sich nicht stellen wollte. Vielleicht musste er aber auch einfach nur warten, bis genug Zeit vergangen war und sich seine Wut auf seinen Vater ein wenig gelegt hatte.
Schließlich kam der richtige Moment.
Gideon arbeitete seit fast einem Jahr für die Vereinten Nationen und war seit einem halben Jahr mit Miriam Pierce zusammen. Miriam war als einziges Kind erfolgreicher Firmenanwälte in Manhattans Upper West Side aufgewachsen und hatte die Juristerei an den Nagel gehängt, um als freiberufliche Fotografin zu arbeiten. Sie war von Gideons Verleger engagiert worden, um das Umschlagfoto für sein erstes Buch zu machen. Später scherzte Miriam, dass er das schwierigste Modell
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