Pechvogel: Roman (German Edition)
Fahrstuhl ist immer noch nicht gekommen, mein Herz schlägt mir bis zum Hals, und Jimmy stellt eine Stange Wasser in die Ecke.
Na, wenigstens einer von uns fühlt sich erleichtert.
Endlich kommt der Aufzug mit einem Ping. Sobald die Türen sich öffnen, hasten wir in die Kabine, doch noch ehe ich den Knopf für die Empfangshalle drücken kann, erscheint Tommy im Flur.
»Ausflug gefällig?«
Er ist nicht allein. Mandy ist bei ihm, die ein rotes Satinkleid, aber keine Schuhe trägt. Tommy scheint auf Rot zu stehen. Jetzt allerdings greift er in Mandys Haar, zerrt ihren Kopf zurück und hält in der anderen Hand eine Spritze, deren Nadel zum Teil in dem unteren Nackenbereich meiner Schwester steckt. Die Spritze ist mit einer schwarzen Flüssigkeit gefüllt – schätzungsweise dasselbe Pech, das mir Tommy bei unserer ersten Begegnung gestohlen hat.
Ironie war noch nie mein Ding.
»Raus aus dem Fahrstuhl«, sagt Tommy.
Hinter mir höre ich Jimmy schniefen, und als ich mich zu ihm umdrehe, entdecke ich ihn leise weinend in einer Ecke des Aufzugs. Hätte er nicht bereits gepinkelt, würde er spätestens jetzt in einer Urinpfütze stehen.
»Sofort«, fügt Tommy hinzu.
Statt seiner Forderung nachzukommen, drücke ich auf den Knopf, der die Tür aufhält. So stehe ich da, die Linke auf dem Fahrstuhlknopf, während meine Rechte noch immer den völlig nutzlosen Becher mit dem Starbucks-Cappuccino und dem Kaffeepulver darin hält. Das verbuchen wir mal als eine weitere schlechte Entscheidung.
Ich schaue zu meiner Schwester, Tommys Geisel, und zu der mit Pech gefüllten Spritze in ihrem Nacken.
»Hey, Mandy«, sage ich.
»Ich kann nicht glauben, dass du mich in diese Sache reingezogen hast, Aaron.«
»Aaron?«, fragt Tommy. »Ich glaube, Nick Monday gefällt mir besser. Das hat mehr Elan.«
»Dann sind wir uns ja zumindest in einem Punkt einig«, gebe ich zurück, »und jetzt lassen Sie sie gehen.«
»Ich glaube nicht, dass Sie in der Position sind, mir Befehle zu geben«, kontert er und unterstreicht seine Worte, indem er die Nadel etwas tiefer in Mandys Nacken drückt, so dass etwas Blut heraustropft. »Ich muss lediglich auf diesen Kolben drücken, und schon hat Ihre Schwester ein ernsthaftes Problem.«
»Und ich muss nur den Inhalt dieses Bechers auf Sie werfen, damit die Sache mit dem Problem auch für Sie gilt.«
Tommy schaut kurz zu dem Starbucks-Becher in meiner rechten Hand, dann wieder in meine Augen. »Sie bluffen, Monday.«
»Ach ja? Was denken Sie, was ich mit Ihren beiden Schlägern gemacht habe?«
Tommy hält meine Schwester noch immer an ihrem Haar fest, während sein Daumen auf dem Kolben der Spritze ruht.
»Wenn Sie den Becher auf mich werfen, könnten Sie auch Ihre Schwester erwischen«, wendet er ein. »Und das möchten Sie doch sicher nicht.«
»Ich werde es einfach versuchen«, erwidere ich. »Was habe ich schon zu verlieren?«
Ich bin beeindruckt. Das klingt selbst in meinen Ohren überzeugend.
»Hör auf mit dem Unfug, Aaron«, sagt Mandy. »Das hier ist kein Spiel.«
»Das ist kein Unfug«, antworte ich.
Mein Finger wird mir vom Drücken des Knopfes müde, und meine Schultern beginnen sich zu verkrampfen. Hinter mir höre ich Jimmy schniefen. Ich habe keine Ahnung, was ich gerade tue und ob das alles funktionieren kann. Ich weiß nur, dass ich nicht zulassen kann, dass Tommy Jimmy in die Hände bekommt. Denn dann wäre Jimmy so gut wie tot.
»Es ist Ihre Entscheidung, Tommy«, sage ich.
Bevor Tommy etwas erwidern kann, springt ein Alarm im Aufzug an – ein plötzliches lautes Summen, das offenbar ausgelöst wird, wenn die Türen zu lange offen gehalten werden. Da sowohl Tommys als auch meine Nerven blank liegen, reagieren wir gleichzeitig. Tommy drückt auf den Kolben, und ich schleudere den Inhalt des Starbucks-Bechers auf ihn und Mandy. Sobald die beiden von den Klumpen aus nassem Kaffeepulver getroffen werden, lässt Tommy Mandy los, beginnt zu brüllen und versucht, den Kaffeesatz von sich abzuwischen, während Mandy die Spritze herauszieht und barfuß durch den Flur davonläuft.
»Mandy!«, schreie ich, als sich der Aufzug schließt und Jimmy und mich mit einer Instrumentalversion von Barry Manilows Looks Like We Made It empfängt. Dann setzt sich der Lift in Bewegung. Aber statt nach unten fahren wir nach oben, und ein paar Sekunden später öffnen sich die Türen zu Harry Denton’s Starlight Room.
»Los, komm«, fordere ich Jimmy auf.
Wir steigen aus dem Aufzug
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