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Pechvogel: Roman (German Edition)

Pechvogel: Roman (German Edition)

Titel: Pechvogel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. G. Browne
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zwei Dritteln mit Urin und der Starbucks-Hausmischung, stelle ihn auf den Tisch, mache meinen Reißverschluss wieder zu und ziehe die Zwei-Unzen-Phiole mit Pech aus dem Beutel mit Kaffee. Schon jetzt bekomme ich Gänsehaut, und die Berührung mit der Phiole schickt ein Beben durch meine Glieder. Also rede ich mir ein, dass es nur Motoröl ist.
    Außerdem rede ich mir ein, dass alles klappen wird, dass die gemahlenen Kaffeebohnen wie ein Schwamm wirken und das Pech aufsaugen werden, so dass es sich nicht durch den benutzten Pappbecher aus Recyclingpapier fressen wird. Zumindest nicht sofort. Aber momentan habe ich so viel Zuversicht wie ein Chicago-Cubs-Fan im September, denn da geht es mit dem Team ja meist den Bach runter.
    »Was ist das?«, fragt Jimmy und zeigt auf die Phiole.
    »Das willst du nicht wissen«, erwidere ich und beginne, die Kappe abzuschrauben.
    »Warum?«
    »Pass nur auf, dass du Abstand hältst, still bist und keine plötzlichen Bewegungen machst, okay?«
    »Warum?«
    »Weil ich nervös bin.«
    »Warum?«
    »Weil es gefährlich ist.«
    »Warum?«
    »Weil ich es sage.«
    »Warum?«
    Meine Hände zittern, und meine Nerven sind vollkommen überreizt. Ich bin mir nicht sicher, ob es an der Phiole mit dem Pech liegt oder an den dauernden Fragen von Jimmy oder daran, dass ich das ohne Schutz tue, aber ich merke, dass ich es nicht schaffe. Ich kann nicht riskieren, etwas von dem Pech zu verschütten – und erst recht nicht, etwas davon abzubekommen. Wenn das passiert, kommt keiner von uns hier lebend raus.
    Ich schraube die Kappe wieder zu und lege die Phiole neben meinen Becher. Dann gehe ich zu Jimmy rüber und hocke mich vor ihn. »Streck deine Hände aus.«
    »Warum?«, fragt er und versteckt die Hände hinter dem Rücken.
    Ich habe keine Zeit, um mir eine ausreichend vertrauenerweckende Geschichte auszudenken, und deshalb muss ich etwas tun, das mir eigentlich widerstrebt: Ich sage ihm die Wahrheit.
    »Weil ich mir etwas von dir leihen muss, das uns dabei helfen wird, hier herauszukommen.«
    »Was willst du dir denn borgen?«
    »Dein Glück.«
    »Mein Glück? Wie soll das denn funktionieren?«
    »Ich bin was Besonderes«, sage ich. »Ich bin schon so auf die Welt gekommen. Sich Glück borgen zu können ist ein ganz natürliches Talent.«
    »So wie Zaubertricks?«
    »Ja, so in der Art.«
    Er starrt mich an und lässt seine Hände weiterhin dort, wo sie sind. »Ich kenne einen Zaubertrick.«
    »Das ist super«, entgegne ich. »Aber wir haben keine Zeit für Spielchen.«
    Er starrt mich an und macht ein beleidigtes Gesicht.
    »Hör mal«, sage ich. »Ich weiß, unsere erste Begegnung ist danebengegangen, aber wenn wir hier rauskommen wollen, müssen wir zusammenarbeiten. Du wirst mir vertrauen müssen.«
    Nichts. Immer noch das gleiche abweisende Mienenspiel. Langsam denke ich schon daran, die Mischung aus Starbucks-Kaffee und Urin runterzuwürgen, um ein gewisses Maß an Schutz zu haben. Wobei ich allerdings sowieso befürchte, dass mein Plan mit nur einem Becher Pech kaum klappen wird.
    »Sie versprechen aber, dass Sie es mir zurückgeben, wenn Sie fertig sind?«, will Jimmy wissen.
    »Das schwöre ich bei allem, was mir lieb und teuer ist«, antworte ich. Was wahrscheinlich ein Fehler ist, wenn man bedenkt, dass ich mein Versprechen brechen und dann einen Becher mit thermonuklearem Pech in die Hand nehmen werde. Aber momentan bin ich an dem Punkt, an dem ich wirklich alles versprechen würde.
    Mit einem Nicken zieht Jimmy seine Hände hinter dem Rücken hervor und streckt sie mit den Handflächen nach oben vor sich aus. So verletzlich, unschuldig und vertrauensvoll.
    Ich atme tief ein und greife mit meinen Händen nach den seinen. Bilder von meinem Großvater, meiner Mutter und meiner Schwester wirbeln durch meinen Kopf. Ich sehe meine Mutter, wie sie blutend und tot im Auto liegt. Meine Schwester, die mir voller Zorn zu verstehen gibt, dass ich gehen soll. Meinen Großvater, in dessen Blick Verlangen und Abscheu miteinander ringen.
    Ich kann es nicht tun.
    »Gute Arbeit«, sage ich, stehe auf und entferne mich von ihm. »Du hast den Test bestanden. Jetzt können wir sehen, dass wir Land gewinnen.«
    »Echt jetzt?«
    »Ja, echt. Tu einfach, was ich dir sage, und bleib hinter mir.«
    Um ehrlich zu sein, sollte ich lieber hinter ihm bleiben. Wenn er mit Pech bekleckert wird, schadet ihm das nichts. Wenn mir das passiert, sieht die Sache ganz anders aus. Aber mal ehrlich: Wie viel schlimmer kann es

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