Pechvogel: Roman (German Edition)
und das Rumpelstilzchen problemlos in den Schatten stellen könnte. Ein Paradebeispiel für die Erfindung von Verhütungsmitteln.
Und plötzlich denke ich an James Saltzman.
Nicht an das Home-Run-Wunder James senior, das mir durch die Lappen gegangen ist, sondern an seinen kleinen missratenen Sohn James junior.
Das Gen für das Stehlen von Glück lässt sich vererben, während das Glück, mit dem man geboren wird, nicht immer an die nächste Generation weitergegeben wird. Und selbst wenn es vererbt wird, kann es mutieren, stärker oder schwächer werden. Oder eben schlichtweg ganz verschwinden.
Anders gesagt: Nur weil James Saltzman senior anscheinend mit einem gewissen Maß an Glück geboren wurde, heißt das noch lange nicht, dass ebendieses Glück auch durch den Körper seines Sohnes fließt. Die genetische Blaupause hält sich nun einmal nicht immer an die Regeln. Es ist so wie bei rotem Haar oder grünen Augen, der Begabung zu malen oder einem Talent fürs Schreiben oder für Musik. Du weißt nie, was passiert, wenn du zwei DNS-Sätze zusammenwirfst.
Aber im Fall von Jimmy Saltzman frage ich mich tatsächlich, ob nicht mehr in ihm steckt als seine schlechten Manieren.
Nein, in seiner Gegenwart habe ich nicht plötzlich gezuckt oder aus unerfindlichen Gründen gelacht, und ich hatte auch keinen Orgasmus. Was auf deutlich mehr als einer Ebene beunruhigend gewesen wäre. Aber jetzt erinnere ich mich daran, wie ich in Jimmys Anwesenheit mit einem Mal zu schwitzen begann – und zwar in Jeans und T-Shirt auf einer schattigen Veranda an einem bedeckten Nachmittag im August. Ich hatte meine Reaktion dem gescheiterten Versuch des Wilderns zugeschrieben und der Verzweiflung, mit der ich ein Opfer gesucht hatte.
Doch vielleicht lag es an etwas anderem. Vielleicht gibt es eine genetische Verbindung. Vielleicht ist Jimmy junior ein Apfel, der nicht weit vom Stamm gefallen ist.
Die einzige Möglichkeit, um das herauszufinden, ist, noch einmal mit Jimmy Saltzman zu plaudern. In Anbetracht des Verlaufs unseres ersten Gesprächs bin ich mir nicht so sicher, ob das eine gute Idee ist. Aber Tommys halbe Million und das Wissen, dass das erwilderte Reine Glück alle Spuren des Pechs wegspülen würde, das seit drei Jahren durch meinen Körper geistert – das ist schon eine verdammt gute Motivation.
Generell haben Glücksdiebe in Bezug auf Moral und Ehre einen gewissen Spielraum. Das gehört einfach zu dem Job dazu. Trotzdem sollte ich eigentlich nicht mal daran denken, Reines Glück zu stehlen. Nicht wenn ich auch nur einen Funken Selbstwertgefühl im Leib habe. Was mir momentan zunehmend zweifelhaft erscheint.
Mit anderen Worten: Mein Widerstand gegen die Verlockung löst sich langsam, aber sicher in Luft auf.
Kapitel 16
D ie Clownsfrau knotet noch ein Ballontier, und ich wende mich ab, schlendere über den Union Square und halte nach anderen Wilderern Ausschau. Aber ich sehe ausschließlich potenzielle Opfer.
Mit noch immer schmerzendem Kopf gehe ich ins Café Rulli, um mir eine Dosis Koffein abzuholen.
Ins Rulli zu gehen erinnert mich an Glatze und Tuesday Knight – und das wiederum erinnert mich an die zehntausend Dollar Vorschuss von Tuesday, die in dem Rucksack waren, den Tommy Wong mir abgenommen hat. Zusammen mit dem Glück, das Barry Manilow konfisziert hat, sind das etwa zwanzig große Scheine, die mir heute innerhalb von weniger als zwei Stunden durch die Lappen gegangen sind.
Hätte ich nicht bereits Kopfschmerzen, bekäme ich sie spätestens jetzt.
Ich werfe noch ein paar Schmerztabletten ein und schlucke sie trocken herunter, während ich mir überlege, was ich als Nächstes tun sollte.
Vermutlich sollte ich erst mal den Käufer von Gordon Knights Glück auftreiben und so die hundert großen Scheine abgreifen, die Tuesday mir angeboten hat: Mit dem Geld könnte ich mir etwas Zeit erkaufen. Oder ich besorge damit noch mehr Pech, liefere es an Tommy und sehe diesmal zu, dass die Lieferung meine Lage nicht verschlechtert, sondern verbessert. Ob ich den Käufer von Gordon Knights Glück finden kann oder wie ich das verkaufte Glück zurückholen soll, ist mir ein Rätsel, aber mangels frei herumliegender hunderttausend Dollar oder anderer Ideen entschließe ich mich, diesen Plan in die Tat umzusetzen.
Noch besser wäre es natürlich, wenn ich etwas Glück höchster Güte finden könnte, denn das würde all meine Probleme auf einen Schlag lösen. Und da ich abgesehen vom kleinen Jimmy Saltzman keine
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