Pechvogel: Roman (German Edition)
Bellini aus, ehe der dritte kommt. Ich würde in der Zwischenzeit auch Wasser trinken, um einer Dehydration vorzubeugen, aber in Wasser ist ja kein Alkohol. Was sollte das also bringen?
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
»Welche?«, sage ich. »Ich habe den Überblick verloren.«
»Die bezüglich deines Namens.«
Der Kellner kommt mit meinem Bellini, den ich gleich nutze, um die letzten Linguine herunterzuspülen. Dass sich mein Getränk und die Hauptspeise nicht aufeinander reimen, verbessert meine Laune auch nicht.
»Mein Name ist echt genug«, antworte ich und will höflich und geheimnisvoll klingen, doch es wirkt eher genervt und bockig. Was wohl auch ehrlicher ist. »Wie steht es bei dir? Hast du einen Namen? Einen echten oder sonst einen?«
»Tut mir leid. Streng geheim.«
»Genauso wie der Grund, aus dem du hier bist?«
Sie schenkt mir ein unschuldiges Lächeln.
So lebe ich. In einer Welt der beruflichen Anonymität. Einer Welt voller Menschen mit falschen Namen und Identitäten. Oder Menschen ganz ohne Namen. Gesichtslose Menschen, die meine Dienste per Telefon oder SMS anfragen. Kunden, die sich mit mir in dunklen Gassen oder Filialen von Kaffeehausketten treffen. Fremde, die mich mit Regierungslimousinen ohne Nummernschild abholen oder mit mir essen gehen.
Tarnidentitäten. Spione. Betrüger.
Mein Leben ist wirklich unglaublich bedeutungsvoll.
»Wo lebst du denn, wenn du nicht gerade in anderer Leute Revier eindringst?«, frage ich. »Oder ist das auch streng geheim?«
»Tucson.«
»Ernsthaft? Ich habe auch mal in Tucson gelebt.«
»Die Welt ist klein«, gibt sie zurück.
Noch was, das wir gemeinsam haben. Wildern und Tucson. Hand aufs Herz: Wie wahrscheinlich ist das?
»Und was hat dich dazu gebracht, Tucson den Rücken zu kehren?«, will sie wissen.
»Sagen wir einfach, ich brauchte eine Luftveränderung.«
»Oder die Sache ist dir über den Kopf gewachsen«, sagt sie, schenkt mir ein weiteres Lächeln und legt wieder den Kopf schräg.
Vielleicht sind es die zweieinhalb Bellinis. Vielleicht ist es die Art, wie sie den Kopf schief legt. Vielleicht liegt es daran, dass eine Leiche in meinem Büro wartet, während ich fürstlich diniere und mit einer Glückswilderin flirte. Jedenfalls entscheide ich mich, sie wissen zu lassen, was ich vermute.
»Also gut«, sage ich, nehme einen Schluck von meinem Bellini und lehne mich im Stuhl zurück. »Warum arbeitet ein nettes Mädchen aus Tucson hier in Kalifornien für Tommy Wong?«
»Ich arbeite für niemanden.«
»Und wer hat dich dann geschickt, um mich zum Essen auszuführen?«
»Ich bin von niemandem geschickt worden.«
»Und warum warst du in meinem Büro?«
Sie kaut zu Ende und schluckt. Kein Anzeichen eines Lächelns. Kein Funkeln in den Augen.
»Ich glaube, dass du wissen solltest, mit welcher Sorte Mann du dich eingelassen hast«, sage ich.
Ich bin mir nicht sicher, ob sie überlegt, ob ich damit Tommy oder mich selbst meine. Na ja, im Grunde passt es auf uns beide.
»Kann ich die Rechnung bekommen, bitte?«, fragt sie den Kellner ein zweites Mal.
»Ja, natürlich«, erwidert er. »Entschuldigen Sie bitte.«
Er eilt davon und lässt das Roller-Mädchen und mich mit unserem unangenehmen Schweigen allein.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet«, sage ich.
»Welche? Ich habe den Überblick verloren.«
»Die bezüglich des Grundes, aus dem du hier bist«, erkläre ich und beuge mich vor. »Die, warum du vor meiner Bürotür aufgetaucht bist.«
»Das sind zwei Fragen.«
»Da liegt eine tote Frau in meinem Büro«, sage ich, beuge mich weiter vor und spreche so leise, dass nur sie es hören kann. Möglicherweise ist das ein Fehler, aber ich habe mittlerweile Übung darin. Oder möglicherweise hatte ich auch bloß einen Bellini zu viel.
Sie starrt mich ausdruckslos an, doch ihre Augen strafen ihre äußere Ruhe Lügen. Der Kellner kommt mit der Rechnung.
»Kann ich noch etwas für Sie tun?«, erkundigt er sich.
»Nein, vielen Dank.« Sie lächelt, als ob alles in Ordnung wäre. Doch als sie sich wieder mir zuwendet, verschwindet das Lächeln wie bei einem Zaubertrick.
Und in diesem Moment denke ich mir, dass ich jetzt vermutlich jede Chance verspielt habe, die ich je bei ihr hätte haben können. Tja.
»Die tote Frau«, setze ich erneut an. »Weißt du, wer sie in mein Büro geschafft hat?«
»Bist du nicht der Detektiv?«, fragt sie, zieht ein Bündel Geldscheine aus der Tasche und legt mehr als hundert Dollar
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