Pechvogel: Roman (German Edition)
auf die Rechnung.
»Okay, ich verrate es dir: Tommy Wong hat sie da hingebracht. Der Mann, der dir gesagt hat, dass du mich zum Essen ausführen sollst. Der Mann, der dich angeheuert hat und dessentwegen du nach San Francisco gekommen bist.«
»Ich hab’s dir doch schon gesagt: Ich arbeite für niemanden.«
Sie steht auf und verlässt das Restaurant durch die Vordertür. Wie ein artiges Hündchen folge ich ihr. Vielleicht tue ich es auch aus purer Verzweiflung. Mittlerweile ist mir das egal.
Draußen an der Powell Street rattert eine Straßenbahn an uns vorbei in Richtung Union Square. Das Roller-Mädchen geht in die entgegengesetzte Richtung davon, vorbei an den Beefeater-Türstehern vor dem Sir Francis Drake. Sie hat den Kopf gesenkt, schwingt die Arme, und ihr kurzes Haar wippt bei jedem Schritt mit.
»Hey!«, rufe ich in dem Versuch, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Es wäre leichter, wenn ich ihren Namen kennen würde, denn ich bezweifle, dass sie auf Roller-Mädchen reagieren würde. Allerdings würde sie sich wahrscheinlich nicht einmal umdrehen, wenn ich ihr hinterherriefe, dass sie eine All-inclusive-Reise mit Johnny Depp nach Tahiti gewonnen hätte. Also renne ich ihr einfach nach.
Als ich den Eingang des Drake erreiche, ist sie schon an der Kreuzung Sutter und Powell Street.
»Halt!«, rufe ich. »Jetzt warte doch mal!«
Da schiebt sich plötzlich eine große Hand im weißen Handschuh in mein Sichtfeld. Sie hängt an einem großen, in Rot gewandeten Arm, der sich vor mir herabsenkt wie eine Schranke und mir so den Weg versperrt.
»Schön, dass Sie vorbeischauen«, sagt der große Besitzer des großen Arms.
Ich schaue in das runde, freundliche und schwarze Gesicht des Beefeaters, das von einem dünnen, gut gepflegten Schnurrbart geschmückt wird. Der Kopf ist rasiert, sein Arm so groß wie mein Bein. Bei genauerer Betrachtung gilt das auch für seinen Hals. Er sieht aus, als wäre er mal Middle Linebacker in der National Football League gewesen. Und er macht dem Namen Beefeater alle Ehre: Denn Rindfleisch hat er für diese Statur bestimmt genug gegessen.
»Kennen wir uns?«, frage ich.
»Sagen wir einfach, ich kenne Sie.«
Seine Stimme gleicht der eines Schauspielers: tief, aussagekräftig und befehlsgewohnt. Jemand, der sich auf einer Bühne oder vor einer Kamera zu Hause fühlt. Er sieht nicht berühmt aus oder wie jemand, den ich kenne, aber seine Stimme kommt mir definitiv vertraut vor.
Als ich wieder zur Straße schaue, ist das Roller-Mädchen verschwunden. Ich weiß nicht, was ich damit zu erreichen geglaubt habe, sie auf diese Tommy-Wong-Arbeitssache festlegen zu wollen, aber der Gedanke daran, sie könnte endgültig fort sein, erscheint mir auf mehreren Ebenen wie eine verpasste Chance.
Schließlich wende ich mich dem Beefeater zu, der mich derart intensiv betrachtet, dass ich fast befürchte, ich könne unter seinem Blick in tausend Teile zerspringen.
»Sie haben nicht vor, mich zu verprügeln oder unter Drogen zu setzen, oder?«, frage ich.
»Nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt.«
»Sind wir uns schon einmal begegnet?«
Er schüttelt ganz leicht den Kopf. »So würde ich es nicht ausdrücken.«
Jetzt kann ich rätselhaft zu den Adjektiven hinzufügen, mit denen ich diesen Tag beschreiben würde. Diesen Tag, der sich zunehmend zu einem der interessanteren in meinem Leben entwickelt.
Noch ein Beefeater – dieser weiß und glatzköpfig, ohne Schnurrbart und National-Football-League-Karriere – tritt aus dem Drake auf die Straße und nickt uns zu. Genauer gesagt nickt er dem Giganten vor meiner Nase zu. Ich selbst bin eben nur zufällig in der Nähe. Auch wenn der zweite Beefeater mich nicht einmal eines zweiten Blickes würdigt, erkenne ich ihn: Glatze vom Union Square. Der Typ im Café Rulli, der Tuesday im Auge behalten hat und ihr zur Bushaltestelle gefolgt ist.
Bevor ich etwas sagen oder herausfinden kann, was hier überhaupt gespielt wird, packt mich der Gigant am Ellbogen und schiebt mich ins Hotel hinein. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Sir.«
»Habe ich denn eine Wahl?«
»Eigentlich nicht.«
Dass mir mal wieder keine Wahl bleibt, wird langsam zur Gewohnheit.
Er führt mich an der unteren Lounge vorbei, außen herum zu den Fahrstühlen und bugsiert mich in eine der Kabinen. Dann tritt auch er ein und drückt auf den Knopf für die oberste Etage: Harry Denton’s Starlight Room. Ich habe keine Ahnung, wer zu so einer Uhrzeit an einem Augustnachmittag in
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