Pechvogel: Roman (German Edition)
meinen Schreibtisch: ein einzelnes Blatt Papier, dreifach gefaltet; die Visitenkarte eines Limousinenservice mit dem Hinweis Nach Alex fragen; außerdem der Schlüssel für ein Schließfach bei der Wells-Fargo-Bank an der Market Street, das auf den Namen Nick Monday läuft.
Der Schlüssel kommt an meinen Schlüsselring. Das ist vielleicht nicht die beste aller Ideen, da das Pech, das ich gewildert habe, dafür sorgt, dass ich wertvolle Dinge verliere oder sie einfach verschwinden – und es fehlt mir gerade noch, dass ich die Schlüssel zu meinem Büro und meinem Apartment verliere. Aber wenigstens weiß ich so, wo der Schlüssel ist, und er kann auch viel schlechter durch ein Loch in meiner Tasche rutschen oder herausfallen, wenn mich irgendwer kopfüber von einer Brücke hängt.
Man weiß ja nie.
Als ich das Blatt Papier auseinanderfalte, finde ich darauf ein Dutzend Namen und Adressen in San Francisco, die meisten davon in Pacific Heights und an der Marina, ein paar auch in Telegraph Hill oder North Beach. Erst weiß ich nicht, was ich mit der Liste anfangen soll, aber dann fallen mir die Buchstaben auf, die jedem Namen zugeordnet sind.
G steht für »Großes Glück«, M steht für »Mittleres« und K für »Kleines«.
Es ist eine Liste mit Opfern, denen ich ihr Glück stehlen soll. Alle bis auf drei haben Mittleres Glück: Einer in Telegraph Hill und einer in North Beach haben Kleines, und einer aus Pacific Heights hat Großes Glück höchster Güte.
Ich starre das Blatt an und frage mich, woher Tommy die Namen hat und woher er weiß, welche Güte das Glück hat. Vielleicht ermittelt das irgendein Dienstleister für ihn. Oder er hat diese Informationen seinen angeheuerten Glücksdieben gestohlen. Was letzten Endes aber keine Rolle spielt, solange die Liste nur stimmt und somit ihren Zweck erfüllt.
Ich schaue sie durch, mein Blick wird wie magisch von dem Buchstaben G angezogen, und langsam kommt die Aufregung. So nahe war ich erstklassigem Glück in den letzten drei Jahren nicht. Meine rechte Hand juckt vor lauter Vorfreude – wie bei einem pubertierenden Jungen vor dem Mädchenposter in der Mitte vom Playboy. Nur dass mein Softporno statt Titten und Ärschen aus Namen und Buchstaben besteht.
Fast fange ich an zu sabbern.
Für jemanden, der das Geschäft eigentlich aufgeben wollte, habe ich mich jedenfalls nicht sonderlich gut im Griff. Natürlich wäre es deutlich leichter, wenn man mir keine Liste mit Opfern vorlegen und mich mit Leichen und meine Schwester betreffenden Drohungen erpressen würde.
Ich stecke den Zettel ein, greife nach der Visitenkarte des Limousinenservice und wähle die Nummer.
»AAA-Limousinen«, meldet sich eine männliche Stimme. Unbedrohlich. Maskulin. Kein Akzent.
»Ich versuche, Alex zu erreichen. Ich habe Ihre …«
»Einen Moment, Mr. Monday.«
Dass sie wissen, wer ich bin, stört mich nicht so sehr wie der Gedanke, dass all das ohne mein Zutun eingefädelt wurde. Ich spiele nur mit, befolge Anweisungen und tue, was mir gesagt wird.
Ich bin Renfield, der in den Diensten Graf Draculas steht.
Ich bin Igor, der Dr. Frankenstein assistiert.
Ich bin ein folgsamer Hund, der den Befehlen seines Herrchens folgt.
Platz. Sitz. Bei Fuß.
Roll dich. Gib Laut. Hol das Stöckchen.
Wenigstens will niemand, dass ich tot spiele.
Trotzdem hasse ich diesen Kontrollverlust. Dass ich mich verbiegen muss, weil jemand anderes Macht über mich hat. Seit dem Tod meiner Mutter war ich mein eigener Herr, hatte die Fähigkeiten und genügend Selbstvertrauen, um die Regeln meiner Welt selbst festzulegen, und war niemandem Rechenschaft schuldig. Meinen Lehrern nicht. Meinen Betreuern nicht. Meinem Vater nicht.
Trotz all seiner Beeinflussungsversuche hat schließlich selbst mein Vater erkannt, dass er keine Macht über jemanden hat, der einem anderen mit nichts weiter als einem freundschaftlichen Händedruck das Glück stehlen kann.
Bis zum Tag meines Auszugs weigerte er sich, gemeinsam mit mir in einem Raum zu sein, wenn ich keine Handschuhe trug. Und er hat mich kein einziges Mal angefasst. Als meine Mutter starb, bot er mir nicht einmal körperlichen Trost. Weder mir noch Mandy. Wenn es um emotionale Wärme ging, war mein Vater in etwa so herzlich wie ein Eisklotz.
Ich frage mich, ob ich ihm vielleicht ähnlicher bin, als ich mir eingestehen möchte.
»Mr. Monday?«, fragt eine männliche Stimme direkt an meinem Ohr.
»Ja?«, gebe ich zurück und versuche mich zu erinnern, warum
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