Pechvogel: Roman (German Edition)
sehen.
Den Gedanken, dass es eine Verbindung zwischen den beiden gibt, bin ich noch immer nicht losgeworden – was mich umso neugieriger auf die Beweggründe des Roller-Mädchens macht. Was ist an ihrer Situation so kompliziert, dass sie nicht mit mir zu Abend essen konnte? Im Moment interessiert mich allerdings noch viel mehr, was Tuesday von mir will und warum sie vorgibt, die Tochter des Bürgermeisters zu sein.
»Tut mir leid, dass ich zu spät dran bin«, sage ich und setze mich auf den Hocker neben ihr. »Mir ist unerwartet was dazwischengekommen.«
»Genau das sage ich immer, wenn ich Männer wie Sie loswerden will«, kontert sie und nippt an ihrem Bier.
So wie es aussieht, hat selbst der aus der Stereoanlage schmachtende Jimmy Buffett bessere Chancen als ich, heute flachgelegt zu werden.
»Vielleicht habe ich Sie missverstanden«, sage ich und erhasche einen Blick in ihren V-Ausschnitt. »Aber haben nicht Sie mich zu einem Drink eingeladen?«
»Um über das Geschäft zu reden. Nicht wegen Ihrer Gesellschaft.«
»Tja, man sagt ja, dass Ehrlichkeit die Grundlage jeder guten Beziehung ist. Also lässt sich die Sache mit uns zumindest gut an.«
Sie lacht und nimmt noch einen Schluck. »Schicker Anzug, übrigens.«
»Sie stehen auf mich. Sie wissen es nur noch nicht.«
Ich bestelle mir beim Barkeeper ein Guinness, und als ich mich wieder zu Tuesday umdrehe, ertappe ich sie dabei, wie sie mich betrachtet und dann schnell wegschaut. Was sich in ihrem Gesicht spiegelt, ist jedoch nicht Verlangen, sondern vielmehr Abscheu. Schlechte Chancen also, mehr von ihrem Busen zu sehen.
»Ich hätte Sie eher für den Martini-Typ gehalten«, meine ich und deute auf ihr Bierglas. »Benefizveranstaltungen, eine Loge in der Oper, steife Fracks.«
»Damit konnte ich noch nie was anfangen.«
»Mit Martinis oder mit steifen Fracks?«
»Mit beidem.«
»Ihnen sind also Bier und Detektive in Anzügen lieber.«
»Nur das Bier.« Mit zwei weiteren Schlucken leert sie ihr Glas.
Ich nutze die Chance, um noch einen Blick auf ihre Brüste zu riskieren. Eigentlich wird daraus eher ein langes Starren als ein Blick. Lang genug, um festzustellen, dass sie ein Muttermal auf der linken Brust hat. Lang genug, um zu bemerken, dass sich ihre Brustwarzen unter dem Stoff ihres Pullis abzeichnen. Lang genug, dass sie mein Starren bemerkt.
»Also wegen Ihres Vaters«, sage ich und will zum geschäftlichen Teil übergehen, als mein Guinness kommt und Tuesday noch ein Stella bestellt.
»Was ist mit ihm?«, fragt Tuesday.
»Ich dachte, Sie wollten mit mir über ihn reden. Über den Fall.«
»Nicht hier. Viel zu öffentlich. Zu viele Augen und Ohren.«
Ich schaue mich um und beobachte die Leute an der Bar und an den Tischen in den Sitznischen, die Bier trinken und normale Gespräche über ihre normalen Leben führen. Ich wette, ein paar von ihnen landen heute sogar noch mit jemandem in der Kiste.
»Warum wollten Sie sich dann ausgerechnet hier mit mir treffen?«
»Ich hatte Durst.«
Ihr zweites Bier wird serviert, das sich als ihr drittes entpuppt: Erst jetzt fällt mir auf, dass Tuesday angeschickert ist. Außerdem ist ihr der Pulli von einer Schulter gerutscht, und ich erblicke den Träger eines schwarzen BHs.
Wenn es um Frauen geht, erhaschen Männer besonders gern einen Blick auf drei Dinge: BH-Träger, Höschen und Tätowierungen. Sie sind wie Verheißungen auf das Entdecken weiterer, noch verborgener Schätze. Was sowohl körperlich als auch geistig der halbe Spaß beim Entblättern einer Frau ist. Die Vorfreude auf das, was du finden wirst. Anders gesagt: Wenn du einen Mann siehst, der eine Frau mustert, speichert er entweder Daten fürs spätere Masturbieren, oder er hofft, dass ihre Klamotten auf wundersame Weise von ihr abfallen.
Ich selbst bin im Augenblick eher der Multitasking-Typ.
»Erzählen Sie mir von sich, Mr. Monday«, fordert sie mich auf, nimmt einen Schluck und hat keine Ahnung, welche Wirkung ihr BH-Träger auf mich hat.
»Was genau möchten Sie wissen?«
»Ach, ich weiß nicht.« Sie wirft mir einen heißblütigen Blick zu, und ich frage mich, ob sie an bipolaren Stimmungschwankungen leidet oder einfach nur so tut, als sei sie schwer zu erobern. »Amüsieren Sie mich mit etwas aus Ihrem Leben, Mr. Monday.«
Also verbringen wir ihr drittes Stella und mein erstes Guinness damit, über meine Kindheit zu sprechen. Wo ich aufgewachsen bin, wo ich gelebt habe, wie lange ich in Tucson war, warum ich nach San
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