Pechvogel: Roman (German Edition)
Abends in San Francisco ein. Die ersten Schatten haben sich bereits über die Stadt gelegt, und wir schlängeln uns durch die Menge und den Verkehr auf der Columbus Avenue in Richtung Powell Street. Als wir an der Ecke auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Taxi sehen, gehen wir rüber, vorbei am leeren Parkplatz des Beerdigungsinstituts in der Green Street. In einem Umkreis von einem ganzen Block um uns herum ist kein Mensch zu entdecken. Nur Tuesday und ich sind hier auf dem Bürgersteig. Mehr als einmal stolpert sie gegen mich, und so lege ich – ganz der perfekte Gentleman – meinen Arm um ihre Hüfte, die ich bei dieser Gelegenheit auch gleich etwas genauer erforsche.
»Ich glaube, ich hab zu viel getrunken«, sagt sie.
Sie strauchelt erneut, greift mit einer Hand nach mir und hält sich an mir fest. Ich rieche das Bier in ihrem Atem und das Shampoo in ihrem Haar. Als sie sich an mich schmiegt, spüre ich ihre weichen Kurven, die Wärme ihrer Haut und ihren Herzschlag, schnell und rhythmisch wie der einer Langstreckenläuferin.
Selbst ohne die sinnesschärfende Wirkung von Donna Bakers Großem Glück ist es berauschend, Tuesday so nah zu sein. Ich kann mich kaum noch zusammenreißen. Mir ist klar, dass ich meine Chancen bei ihr im Keim ersticke, wenn ich preisgebe, dass ich weiß, dass sie eine Betrügerin ist. Dummerweise muss ich trotzdem herausfinden, was sie von mir will und warum sie vorgibt, jemand anderes zu sein.
»Wissen Sie«, sage ich, als wir uns der vorderen Stoßstange des Taxis nähern, »für jemanden, der sich als die Tochter des Bürgermeisters ausgibt, vertragen Sie aber nicht besonders …«
Ehe ich reagieren kann, dreht Tuesday sich um und rammt mir das Knie in die Eier. Ich keuche wie eine Robbe, die nach ihrer Mutter ruft, und falle um, als sich die Fahrertür des Taxis öffnet und das Roller-Mädchen aussteigt.
Vielleicht ist es das, was sie mit Es ist kompliziert meinte.
Als Tuesday sich über mich beugt und ihre Brüste über meinem Gesicht schweben, kann ich den Ausblick nicht so recht genießen. Stattdessen liege ich in Embryonalstellung auf dem Boden und winsele vor Schmerz.
Dann greift sie mit einer Hand in mein Haar, reißt meinen Kopf hoch und flüstert mir ins Ohr: »Das ist für meinen Vater, du Hurensohn.«
Daraufhin kracht mein Kopf auf das Pflaster, und alles um mich wird schwarz.
Kapitel 30
A ls ich aufwache, kann ich mich kaum bewegen. Das liegt teilweise daran, dass mir selbst die kleinste Bewegung das Gefühl gibt, als würde mir jemand die Eier abreißen, und mich der stechende Schmerz, der daraufhin durch meinen Unterleib jagt, dazu bringt, eine braune, schaumige Flüssigkeit zu erbrechen, die kaum etwas anderes als Guinness sein kann. Meiner Bewegungsfähigkeit überdies nicht besonders zuträglich sind die Kabelbinder, mit denen meine Hände und Füße gefesselt sind.
Entführt zu werden wird langsam zur Gewohnheit. Und es ist längst nicht so angenehm wie Apfelkrapfen oder Kaffeehausketten-Baristas.
Ich liege auf der Seite, und der Betonboden unter mir gehört, so vermute ich, zu einem Lagerhaus, das – so weit ich das von meinem beschränkten Blickwinkel aus erkennen kann – bis auf mich leer zu sein scheint. Die Leuchtstoffröhren an der Decke sind ausgeschaltet; schwindendes Tageslicht fällt durch die Oberlichter. Ich höre etwas, das wie Wasser klingt, wie Wellen, die gegen das Gebäude schlagen. Und das bringt mich auf die Idee, dass ich mich in einem leeren Lagerhaus am Hafen befinden könnte. Wie viel Zeit ich verloren habe, weiß ich nicht, aber aufgrund des weichen orangefarbenen Lichtes, das hereinscheint, schätze ich, dass es auf den Sonnenuntergang zugeht.
Mein Kopf dröhnt, meine Kehle brennt, und der Geschmack in meinem Mund konkurriert mit dem des Inneren eines Mülleimers. Nicht dass ich schon mal einen Mülleimer ausgeleckt hätte, aber der Vergleich scheint mir dennoch mehr als treffend zu sein.
Stumm verfluche ich Elwood, weil er mir meine Rolle Mentos abgenommen hat.
Um mich aufzusetzen, versuche ich, die Knie unter mich zu bekommen, aber die Anstrengung ist mehr, als meine Hoden erdulden können. Also lasse ich mich wieder auf den Boden sinken und stöhne leise.
»Gut, du bist wach«, sagt eine Frauenstimme irgendwo hinter mir. Dann klicken Absätze auf dem Beton, und einen Moment später stöckeln cremeweiße Füße in roten High Heels in mein Blickfeld, die wiederum an Beinen hängen, die in einem roten
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