Pechvogel: Roman (German Edition)
grell. Und diese Musik, die kann nicht gut für dich sein. Die hat mir schon jetzt bestimmt drei Jahre Lebenszeit geraubt. Hast du nie Green Day oder die Pixies gehört?«
»Ich weiß nicht, wovon du da redest, Holmes«, gibt er zurück. Er lässt die Schultern tiefer als sonst sinken, und sein typisches Dauerlächeln ist mit einem Mal wie weggewischt. Mit einem schnellen Griff dreht er die Lautstärke hoch und beschwört erneut die tanzenden Elefanten.
Vielleicht sollte ich die Sache einfach auf sich beruhen lassen, aber jetzt habe ich einmal angefangen und kann nicht mehr aufhören.
Also stelle ich die Musik wieder leiser.
»Hör zu, Doug.«
»Das heißt Bow Wow«, korrigiert er mich. Er klingt wie ein schmollendes Kind und sieht mich nicht an.
»Wie lange kennen wir uns schon?«
»Keine Ahnung. Ein paar Jahre.«
»Und habe ich dich in dieser Zeit jemals vorgeführt oder dir einen schlechten Rat gegeben?«
»Keine Ahnung«, sagt er. »Ich schätze nicht. Außer damals, als du mir erzählt hast, dass Frauen es mögen, wenn man sich die Eier mit Wachs enthaart.«
»Okay. Und davon mal abgesehen?«
»Nein, nicht dass ich mich erinnern könnte. Aber die Sache mit dem Wachs hat echt weh getan.«
»Da bin ich mir sicher«, erwidere ich. »Aber was ich damit sagen will, ist: Diese ganzen Sachen hier – diese Klamotten, dieses Geprotze und dieses Auto – stehen dir nicht. Um ehrlich zu sein, stehen sie niemandem. Ich weiß die Mühe durchaus zu schätzen, die du da reinsteckst. Aber ich glaube nicht, dass das wirklich du bist.«
Plötzlich kommt das Auto zum Stehen.
»Wir sind da«, erklärt er.
Ich schaue durch die Windschutzscheibe und sehe die Feiernden, die sich zur Happy Hour vor dem O’Reilly’s versammelt haben. Es ist zehn nach sechs. Das Gefährt des Roller-Mädchens steht nicht mehr vor dem Bestatter, und ich hoffe, dass Tuesday noch drinnen auf mich wartet.
Bow Wow sitzt einfach nur da, starrt nach vorn und trommelt mit den Daumen im Takt zu einem Song auf dem Lenkrad, in dem es um das »Verkloppen von Weibern« und das »Umballern von Bullen« geht. Positive, gesunde Texte. Die Art Musik, von der man sich wünscht, dass die eigenen heranwachsenden Kinder sie hören. Weil ich vermute, dass Doug mir keine Antwort geben wird, öffne ich die Tür und steige aus.
»Du irrst dich, Holmes. Das hier bin ich.«
Er sieht mich noch immer nicht an, und ich merke, dass mir darauf keine angemessene Antwort einfällt.
»Danke fürs Mitnehmen, Bow Wow«, sage ich.
Dann schließe ich die Tür, er fährt weg, und ich quetsche mich an den Horden von Happy-Hour-Trinkern vorbei ins O’Reilly’s.
Kapitel 29
D ie Kakophonie von Gesprächen im O’Reilly’s wäre vermutlich ausreichend, um selbst Dougs bevorzugte Musik zu übertönen. Trotz meiner erhöhten Wahrnehmungsfähigkeit gelingt es mir, mich nicht auf jedes einzelne Geräusch zu konzentrieren, und die Stimmen werden zu einem beständigen Gemurmel im Hintergrund.
Aus der Stereoanlage singt Jimmy Buffett Why Don’t We Get Drunk and Screw?
Die linke Seite des Raums wird von einem großen Barregal dominiert, das über einen von Säulen gestützten Baldachin und farbig beleuchtete Glaselemente verfügt und von einer Rundbar umrahmt wird. Auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich Sitznischen. Die Wände sind gepflastert mit alten Fotos und Bildern von Irland und irischen Prominenten, während die Rückwand hinter der Theke von einem handgemalten Wandbild verschönert wird, das berühmte irische Autoren wie Oscar Wilde, William Butler Yeats oder Samuel Beckett zeigt.
Derzeit fühle ich mich tatsächlich ein bisschen wie eine Figur aus einem Beckett-Stück, die einen Sinn in den Irrungen und Wirrungen ihrer Existenz sucht. Ich weiß nicht, ob meine Suche nach Antworten an diesem Ort ein fruchtloses Unterfangen ist oder ob ich lediglich auf Godot warte, aber eines ist sicher: Ich bezweifle stark, dass hier irgendjemand errettet werden wird. Wie dem auch sei, der heutige Tag war ganz sicher absurdes Theater par excellence.
Eine der Figuren aus Warten auf Godot heißt Lucky – der Glückliche – und wurde Beckett zufolge so benannt, weil Lucky das Glück hat, keine Erwartungen mehr zu haben.
Hätte ich doch auch solches Glück.
Ich entdecke Tuesday, die falsche, an der Bar. Mit einem Bier vor sich hat sie es sich in der Nähe von Oscar Wilde bequem gemacht. Ich schaue mich weiter im Raum um, doch das Roller-Mädchen ist nicht zu
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