Pechvogel
halten, was zu halten seine Aufgabe war.
Richard war immer noch sehr unentschieden, ob er das, was gerade geschah, überhaupt wollte. Aber Gabi ließ ihn erneut keine Wahl, weiter über die Situation nachzudenken, und zog ihm das Shirt über seinen Oberkörper.
»Ich will dich in mir spüren«, hauchte sie Richard ins Ohr und unterbrach dafür ihr Dauerbombardement von Küssen nur kurz.
»Ja!?«
Richards letztes gedehnt ausgesprochenes Wort, bevor Gabi nun endgültig die Naturkatastrophe auspackte und wie eine Flutwelle über ihn kam.
Supermarktgarn
Es gab nur wenige Orte auf der Welt, an denen einem so klar vor Augen geführt wurde, was für ne arme Wurst man ist. Wurst im Sinne von den drei essenziellen L‘s – Liebe, Lust und Leidenschaft.
Richard war im Supermarkt seines Werbeprospektvertrauens angekommen. Alleine. An einem Donnerstagabend, kurz nach sieben.
Gleich bei den Süßigkeiten erlebte er die drei L‘s. Er schob seinen Einkaufswagen an einem jungen Pärchen (Sie – Minirock und enges Girlieshirt; Er – Lederjacke und Levis-Jeans) vorbei, das gerade für intensiven Speichelaustausch sorgte. Ihre Zungen schlängelten sich ineinander wie eine Schlange um einen Ast. Er drückte an ihrem Busen herum, sie an seinem Manpack. Das ganze dauerte einige Sekunden, dann waren sie wieder auf dem Planeten Supermarkt gelandet, legten einen 5er-Pack Schokolade in ihren Einkaufswagen und zogen zum nächsten Kampfgebiet.
Richard wünschte sich diese pralle Intensität von Gabi nicht, aber zumindest zum Einkaufen hätte sie mitgehen können.
Was soll ich denn mit dir im Supermarkt?, sagte Gabi aber. Einkaufen tut jeder schön für sich alleine.
Das verstand Richard nicht. Jetzt hatte er endlich wieder eine Beziehung, auch wenn er sie gar nicht wollte. Das kann sich missverständlich anhören, aber Gabi wollte ihn und er wollte eigentlich nur seine Ruhe. Aber Ruhe hatte er im Moment nur, wenn auch er Gabi wollte. Wollte er sie nicht, würde sie ihn noch immer wollen, und vorbei wäre es mit Richards Ruhe.
Das hörte sich schon wieder komisch an. Aber Gabi hatte ihn sozusagen erlegt, daher war er in Gabis Augen vielleicht schon wieder weniger interessant. Und daher hatte er mehr Ruhe vor Gabi, wenn er mit ihr eine Beziehung führte.
Klar, er hätte ihr an dem verhängnisvollen Aktabend sagen sollen, sie solle sich ihren Aktkoffer sonst wo hinstecken und abdampfen. Dazu war er an diesem Abend aber leider nicht fähig. Genau das Gegenteil passierte und der Abend war die Besiegelung ihrer Beziehung. Ihrer ist da eigentlich der falsche Ausdruck. Gabis Beziehung. Und Richard hatte seine Ruhe.
Richard schob seinen leeren Einkaufswagen weiter.
Im Regalgang mit den Nudeln stand ein Verkäufer, der sich zuerst seine Nudel zurechtbog und, nachdem wieder alles richtig zu liegen schien, mit einem Finger der gleichen Hand in der Nase bohrte. Bei einem solchen Anblick bekommt man richtig Lust auf Spaghetti.
Richard nahm diesmal keine Spaghetti, sondern die Nudeln, die so gedreht sind. Die Billigversion mit dem schönen Namen Mama Lucia. Wie lange die Mama in Italien wohl für diese Nudeln hatte hart arbeiten müssen. Richard würde bei der Firma anrufen müssen, um nachzufragen. Er nahm noch eine Bolognesesoße im Glas und schob seinen Wagen ein Stück weiter zu den Reissorten.
Richard sah sich hier besonders die Uncel-Ben’s-Reissorten an. Spitzen-Langkorn-Reis, lose oder im Kochbeutel. Natur-Reis, lose oder im Kochbeutel. Basmati-Reis, lose oder im Kochbeutel. Jasmin-Reis, nur im Kochbeutel. Als er Kind war, war die Auswahl einfacher. Da gab es nur eine Reissorte, lose oder im Kochbeutel. Als Kind liebte er den Onkel Ben mit seiner tiefschwarzen Haut und seinen strahlend weißen Zähnen. Der Legende nach war es ein afroamerikanischer Reisbauer aus Texas, der den späteren Markenennamen prägte. Er hätte damals gern mit ihm gespielt.
Doch auch vor Onkel Ben machte die Globalisierung nicht halt. Ein großer Konzern kaufte die Marke zu ihren bereits reichlich vorhanden Marken und machte aus dem netten Onkel Ben mit einer Reissorte den Reis-Will-Smith-Ben, der alles kann. Nicht nur die vielen Reissorten, nein, nun macht ein Star aus Richards Kindheit auch noch in Soßen und Snacks. Die Zeiten, mit dem netten Onkel Ben zu spielen, wären spätestens jetzt vorbei. Denn wer so viel Reissorten, Saucen und Snacks macht, der hat keine Zeit mehr zum spielen.
Richard nahm ein Päckchen Spitzen-Langkorn-Reis im
Weitere Kostenlose Bücher