Pechvogel
sah. Obwohl er dem lieber zusehen würde als seinen drei Mitarbeiterinnen in diesem Reisebüro.
Die eine war Anna. Jung, dynamisch und total überdreht. Reisejunkie. Sie lag Richard dauernd mit ihren tollen Erlebnissen aus aller Welt in den Ohren. Kolossal interessant für einen, für den die Berge Österreichs schon sein innerer Kilimandscharo waren.
Die anderen beiden, Franziska und Christine, hatten für sich eine eigene Bibel entdeckt (Jesus wäre echt stinkig, wenn der das wüsste), bereits mit sechzehn oder noch früher. Mehrere Bibeln eigentlich. Alle Frauenzeitschrift, die der Markt hergab. Mittlerweile streiften die Damen die vierzig, wollten aber einen auf zwanzig machen. Richard las InStyle und GQ. Daher war ihm das Terrain ein wenig vertraut.
Aber muss ich jeden Monat zehn Zeitungen haben?, dachte er.
Seine Mitarbeiterinnen mussten das. Welche neuen Schminktipps gab es, welchen neuen Duft, welcher neue Designer war gerade in (den sich beiden niemals werden leisten können), welcher Hollywoodschönling machte gerade mit welcher Hollywoodschönheit rum. Das waren die wirklich wichtigen Themen, die die beiden dauerhaft beschäftigten.
Franziska und Christine nahmen auch das Wort schminken immer wörtlich. Sie sahen aus wie im Karneval. Knallige Farben, lange Wimpern, gemalte Augenbrauen. Die Haare mit so viel Spray festgebunkert, dass man damit Risse in einer Hauswand hätte schließen können.
Richard saß neben seinen drei Mitarbeiterinnen voller Dynamik und Farbe und brachte sich immer voller Enthusiasmus ein, wie toll ihr Leben doch sei.
Das Wort toll wollte er eigentlich aus seinem Wortschatz streichen. Es gelang nicht so recht.
Jetzt musste Richard aber wirklich wieder lachen, er bekam Kunden.
»Frau und Herr Hoffmann, wie schön Sie zu sehen.«
Die beiden lächelten gequält zurück.
»Haben Sie Ihr Traumziel gefunden?«, fragte Richard strahlend.
Die Qual ihres Lächelns ließ etwas nach.
Frau Hoffmann hob ihre spitze Nase. »Mein Mann und ich sind übereingekommen.«
Dann setzten sich die beiden vor Richards geschwungenen Beratertisch.
Richard saß dahinter wie ein Beichtvater in Erwartung der vorzutragenden Sünden. Der Reisesünden seiner Kunden.
Welches Land wollten sie wohl mit ihrer Anwesenheit beglücken?, dachte er. Die so von sich eingenommenen Amerikaner, wie Frau Hoffmann meinte, oder die Snobs in Frankreich, wie Herr Hoffmann zum Ausdruck brachte, oder das schweineheiße Australien (das schweineheiß kam von ihm, als Antwort bekam er vier tödliche Kugeln in die Stirn in Form von Augen, die auf ihn zielten), oder vielleicht doch die so freundlichen Farben ausstrahlenden Malediven, wie Frau Hoffmann am Ende des mittlerweile fünften Kundengesprächs meinte.
»Malediven«, sagte Herr Hoffmann verbissen.
Die beiden strahlten eine solche Kälte aus, dass die Malediven zum zweiten Grönland werden würden, wenn die Hoffmanns die Inseln beträten.
»Das freut mich aber«, antwortete Richard.
Dann kam, was immer kam, Richard plante mit seinen Kunden deren Wünsche und Aktivitäten in ihrem neuen Urlaubsziel.
Herr Hoffmann wollte den Sand in Schnee verwandeln, Frau Hoffmann lieber das Meer zufrieren lassen. Richard war dann schlichter und handelte einen Deal mit den Hoffmanns aus. Eine Woche Strand, eine Woche Meer. Hört sich einfach an, bei den Hoffmanns grenzte das aber an einen über Jahre ausgefochtenen Staatsvertrag.
Am Ende machte Richard alles perfekt.
Das freute seine drei Mitarbeiterinnen weniger, denn der Beste von den vieren, der durch Reiseverkäufe das meiste in die Kasse spülte, bekam am Ende des Monats immer eine gute Geste des Chefs Hans Köpke. In bar. Unter dem Tisch.
In dem halben Jahr, in dem Richard bei Köpke Reisen arbeitete, bekam er fünfmal eine Geste des Chefs, nur einmal nicht, da war es Franziska. In diesem Monat war er zwei Wochen krank.
Richard hatte heute ein deutsch-türkisches Ehepaar, das irgendwohin nach Skandinavien wollte, einen Münchner, der schöne Italienerinnen in Rom bewundern wollte, ein junges Pärchen, das in Las Vegas viel Kohle machen wollte (wenn sie sich da mal nicht täuschten) und ein älteres Paar, das nach Venedig reisen wollte. Sie hatte alle Romane von Donna Leon gelesen und wollte nun unbedingt das leonsche Venedig kennen lernen.
Viel Vergnügen, dachte Richard.
Und die Hoffmanns durfte Richard selbstverständlich auch noch bedienen.
Seine Mitarbeiterinnen hatten heute ähnlich viele Kunden. Wieder ein guter
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