Pecorino und die Kunst des Pilgerns - ein Hund geht den Franziskusweg
Nacht gäbe, erkundigt sich Toni bei Signora Pina, die mich heftig streichelt. Sie werde kurz mit einer Freundin aus dem
ufficio turismo
telefonieren. „Wait a moment and take a seat“, tönt es plötzlich in gebrochenem Englisch aus ihrem Mund. Eben noch die vielen Deutschen, ab und zu Amerikaner und Japaner … da muss man ja sprachverwirrt werden.
Der Autor nützt die Gelegenheit der unfreiwilligen Warteschleife, um die hochmodernen Toilettenanlagen im antiken Gemäuer aufzusuchen. Herrchen inspiziert die zahlreichen Fotos an den Wänden. „Das gibt es doch nicht!“ – sein Gesicht beginnt zu strahlen. Unter all den Fotos hängt auch ein großer Zeitungsausschnitt über die Region Toskana aus einem holländischen Magazin. Unter der herrlichen Abbildung steht in kleinen Lettern sein Name geschrieben: Foto Toni Anzenberger. Das ist eine Freude!
Auch mir kommt diese sanfte toskanische Landschaft, durch die sich eine markante Zypressenallee schlängelt, sehr bekannt vor. Ein Motiv, welches wahrscheinlich Millionen von Toskana-Besuchern wieder und wieder abgelichtet haben. Für mich und mein Herrchen allerdings hat es schicksalshafte Dimensionen, wie Toni zu erzählen beginnt. Genau zu dieser Straße nahe Torrenieri habe ich mein Herrchen im Jahr des besagten Fotos erstmals auf einer Reportagereise begleitet. Über elf Jahre ist das nun her. Und hier war es auch, dass ich ganz unabsichtlich durchs Bild gelaufen und ganz plötzlich beinahe leblos erstarrt bin. So hundeuntypisch, dass es beim Fotografen nicht nur geklickt, sondern auch gefunkt hat: Dieser Hund hat ein natürliches Talent zum Fotografiertwerden. Dieser Hund ist ein Model. Man könnte den historischen und doch so zufälligen Augenblick als meine zweite Geburtsstunde betrachten. In der ein neues Leben, eine neue Herausforderung für mich begonnen hat – das Leben als Hundemodel. Ohne diesen Zufall wären wir heute wohl nicht hier. Ohne diese Sternstunde stünden nicht Abertausende Fotobände über Pecorino in den Bücherregalen. Der Beginn meiner Karriere wurzelt in dieser wundervollen Landschaft im Val d’Orcia. Eines aus der Serie dieser legendären Landschaftsfotos ziert heute noch den Bildband
Pecorino in der Toskana
und ging in vielen Magazinen um die Welt. Von diesem Zeitpunkt an durfte ich Herrchen – ja musste ich ihn – auf fast jeder Fotoreise begleiten. Ich war ja nun das Hauptmotiv.
Signora Pina war zwischenzeitlich fündig geworden. Ein sehr schönes, neues Albergo im nahen Ortsteil Pratolino sollte unsere Bleibe für die Nacht werden. Den Berg runter, den gegenüberliegenden rauf, dann noch eine lange Gerade und in der Linkskurve scharf rechts abbiegen. Die Abendsonne steht tief, der Weg zum Albergo Cristallo zieht sich. Man sieht kaum einen Caprese-Bewohner. Auffällig hingegen die vielen Verbotsschilder vor den zahlreichen Grünflächen und Parks der Michelangelo-Metropole. Für Hunde verboten. Nicht mit charmantem Wiener Schmäh und dem Slogan „Nimm ein Sacki für dein Gacki!“ wird man aufgefordert, seine Exkremente zu entsorgen, nein, ein durchgestrichener, hässlicher schwarzer Hund auf weißem Grund warnt vor empfindlichen Geldstrafen. Genau in diesem Moment kommen uns zwei in Gardeuniformen aufgeputzte Carabinieri entgegen. Muss wohl ein Fest, eine Feierlichkeit hier sein, ich kann mir nicht vorstellen, dass die muskulösen und furchterregend anmutenden Amtsriegel jeden Tag in dieser musealen Uniform ihren Dienst versehen. Abrupt breche ich mein Vorhaben, das Bein zu heben, ab. Ich kann auch noch nach der nächsten Kurve in der von Michelangelo dominierten Stadt meine Witterung hinterlassen, da wird mich wohl das strenge Auge des Gestzes nicht mehr beobachten.
Bestseller: Eines meiner bekanntesten Fotos, aufgenommen nahe Montepulciano in der Toskana. Ein wahres Kunstwerk!
Das Cristallo strahlt uns mit moderner, gläserner Front entgegen. Architektonisch ein Touristenbunker der 1980er-Jahre. Wir dürften die einzigen Gäste sein. Die Zimmer sind hell mit Terrasse in den Garten hinaus. Es ist noch sehr warm. Während ich mein Fressen bekomme, beginnen meine Kumpane zu regelrechten Hausmännern zu mutieren: Emsig wird das Bad kurzerhand zur Waschküche umfunktioniert, und schon verleiht Rei in der Tube den staubigen und verschwitzten Wanderklamotten neuen Duft und Glanz. Getrocknet wird die triefende Wäsche rund ums Haus auf der Terrasse. In Ermangelung einer Wäscheleine muss schon mal die Dachrinne als Wäscheständer
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