Pecorino und die Kunst des Pilgerns - ein Hund geht den Franziskusweg
herhalten, wir sind schließlich in Italien. Der sanfte, warme Abendwind ist ideal zum Trocknen der Leibchen, Hosen, Socken und auffallend bunten Boxershorts. Wer weiß, wann sich diese Gelegenheit wieder bietet. Nur ein sauberer Pilger ist ein guter Pilger. Bin ich froh, dass ich ein angewachsenes Fell habe.
Abendessen gibt’s um acht. Hunde sind grundsätzlich nicht im überdimensionierten Speisesaal erwünscht, man passt sich intern den externen Gegebenheiten an. Da sich aber nur ein einziger weiterer Gast hierher verirrt hat, darf ich im alleräußersten Winkel des Raumes Platz nehmen. Das Essen schmeckt, der Wein noch mehr. Ein Espresso und ein Zigarettchen für den Schreiber, Kaffee für Herrchen im Freien auf der Terrasse natürlich. Wir sind schließlich in Italien, und da hat man sich ja bekanntlich dem strengen EU-Rauchverbot vollends und ausnahmslos gebeugt. Gepafft wird nur draußen. Dann geht’s ab in die Zimmer, ins Bett. Ich darf im übergroßen Doppelbett auf meiner Hundedecke bei Herrchen schlafen. Eine Ausnahme, nicht weil er sich so allein fühlt, sondern weil ihm heute einmal mehr bewusst geworden sein dürfte, wie wichtig es war, dass ich in sein Leben getreten und durch das legendäre Toskana-Foto getrampelt bin. Es war ein guter Tag.
Siebte und achte Etappe:
Caprese Michelangelo
bis Città di Castello 56 km
Die Straßen sind noch menschenleer. Es ist zeitig am Morgen und schon heiß. Die Maisonne hat die hügelige Landschaft um Michelangelos Caprese schnell erwärmt. Der große Meister der bildenden Künste verliert mit jedem Kilometer, den wir uns entfernen, an Bedeutung. Ein Stück noch bergauf zum knapp 800 Meter hohen Monte Fungaia, weitere 16 Kilometer nach Sansepolcro nur noch bergab. Man hätte auch einen anderen Weg nehmen können, jenen über Pieve Santo Stefano. Wir sind froh, dass wir die Caprese-Etappe gewählt haben. Sonst könnte ich nie behaupten, im Bett von Michelangelo geruht zu haben. Bei Ponte sul Lago überqueren wir erstmals den Tiber. Linker Hand ein riesiger, von Menschenhand geschaffener See, der Lago di Medoglio. Gewaltig überragt die 30 Meter hohe Staumauer das Tibertal. Die Umgebung verwandelt sich rasch in eine blühende, weite Auenlandschaft. Wasservögel aller Arten ziehen an uns vorbei. Ein Panoramafoto von der Staumauer und weiter geht’s den Fluss entlang. Überall landwirtschaftlich genutzte Flächen, eine sehr fruchtbare Ebene beginnt.
Die Sonne brennt. Endlich kann Herrchen in aller Ruhe das fotografieren, was ihm schon mehrmals am Weg ins Auge gesprungen ist: endlose Mohnblumenfelder. Klatschmohn in den verschiedensten Rot- und Lilatönen lässt die Mittagshitze um einige Grade höher erscheinen. Pecorino zwischen den leuchtenden Blüten, geduckt im hohen Gras, schnuppernd am Mohn. Diese rote Pracht will, muss genützt werden. Dazwischen zieht es mich immer wieder an den Rand des Feldes zu einem einsamen Apfelbäumchen, das für einen großen Hund wie mich eindeutig zu wenig Schatten spendet. Und noch ein Foto im blühenden Feld, jetzt reicht’s langsam. Wie durch eine Fügung Gottes nähert sich just in diesem Moment ein riesiger Traktor auf dem kleinen, sandigen Güterweg inmitten der Felder. Ein regelrechter Stauborkan wird auslöst. Das satte Grün und Rot der Pflanzen wird blitzartig von einer grauen Schicht umhüllt. Herrchen, Autor und ich bekommen kaum noch Luft zum Atmen. Der gesundheitsgefährdende Feinstaubpegel hat längst sämtliche Grenzwerte überschritten, das teure Kameraobjektiv ist völlig versandet und bedarf sofortiger Reinigung. „Wie der Hund jetzt ausschaut, nichts wie weg hier!“ Die Operation Mohnblumenfeld war somit spontan beendet. Ich darf endlich das tun, wovon ich schon die ganze Zeit über geträumt habe: ein reinigendes, aber vor allem kühlendes Bad in den Fluten des nahen Tibers nehmen. Ein Hochgenuss. Herrchen bezeichnet mich ja gerne als Wasserratte, weil ich immer schon kaum eine Pfütze, einen Bach oder einen See ausgelassen habe. Rein, plantschen, schwimmen, wohlfühlen. Warum man dann zur Wasserratte degradiert und nicht zumindest als Seehund bezeichnet wird, ist mir ein Rätsel. Menschen! Ob Donau, Isar, Seine oder die Seen des Salzkammerguts, ich habe sie alle schon durchschwommen.
Da ich im Gegensatz zu anderen Artgenossen kaum zum sogenannten Hundeln neige, mein Fell sehr pflegeleicht ist und auch schnell trocknet, bleiben meine Ausflüge in die Feuchtgebiete dieser Erde meist unbemerkt. Nur ein
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