Pedro Juan Gutiérrez
stürmen, und von überallher floss Wasser herein. »Dalia, wenn es so weiterregnet, bricht uns die Wand hier zusammen.«
»Heilige Mutter Gottes! Sag das nicht, mein Sohn.« »Ob ich es sage oder nicht, sie wird einstürzen. Sprechen Sie ein paar Gebete, mal sehen, vielleicht hält sie dann etwas länger.«
»Die Leute hier im Haus sind der reinste Abschaum. Sie haben das Gebäude zu Grunde gerichtet, darum zerfällt es jetzt.«
»Dalia, dieses Gebäude ist uralt, und nie wird was repariert. Deswegen verfällt es.«
»Sie haben es verfallen lassen. Die Behörden haben es abgeschrieben. Ich darf das sagen, mir in meinem Alter wird man wohl nichts mehr tun. Aber du, mein Sohn, bist ja herumgekommen und weißt, dass sich nirgendwo auf der Welt die Regierung um alles kümmern kann. Darum ist unser Viertel so geworden. Als das Gebäude noch der Eigentümerin gehörte, war es ein Juwel. Eine Augenweide. Ich bezahlte monatlich neunzig Pesos Miete, aber die war es wert, denn niemand durfte etwas selbst reparieren, nicht einmal den Wasserhahn. Sie kümmerte sich um alles. Aber hier wohnten auch nur Berufstätige, Lehrer und Geschäftsleute.« »Na ja, das waren eben andere Zeiten, Dalia. Vergessen Sie's.«
»Es muss wieder so werden. Man kann nicht einfach alles immer weiter verfallen und die Leute arbeitslos mit verschränkten Armen dasitzen lassen und ihnen Gehälter zahlen. Komm, ich zeige dir was.«
Sie führte mich ins Schlafzimmer, öffnete den Kleiderschrank und holte ein paar Kleider, Schuhe und eine Handtasche hervor. Alles ganz neu. »Und wofür ist das, Dalia?«
»Ich habe ein bisschen Schmuck und Porzellannippes verscherbelt und mir dafür das hier gekauft. Denn wir werden ja nicht ein Leben lang in Hunger und Armut leben. Das Leiden wird bald ein Ende haben. Ich weiß, dass alles bald ein Ende hat, und dann braucht man was zum Anziehen, um auszugehen, um zu flanieren. Ich glaube zwar nicht, dass ich noch einen Kavalier finde, dafür bin ich zu alt, aber man weiß ja nie, nicht wahr? Man weiß ja nie.«
»Natürlich, Dalia, man weiß nie. Das Letzte, was man verliert, ist die Hoffnung.«
»Das sage ich auch. Das Letzte, was man verliert, ist die Hoffnung.«
Wir unterhielten uns noch ein Weilchen. Die Nachbarn behaupteten, Dalia sei Jungfrau. Sie war dreiundachtzig, glaubte aber immer noch daran, eines Tages zum Altar geführt zu werden. Sie erzählte mir erneut die ganze Geschichte ihrer Jugend, wo sie über Weihnachten nach Miami gefahren war, um dort in den schönsten Geschäften Kleider und Schuhe einzukaufen. Und wie sie Klavier spielte und stickte. Und dass ihr Vater einen riesigen Laden besaß, Katalane war, mit eisernem Charakter, mit einhundertvier Jahren starb und ihr nie einen Verlobten zugestand, da alle ihre Verehrer arm waren und er auf einen mit Geld wartete. Sturm und Regen wurden heftiger. Ich ging wieder hoch in mein Zimmer und legte mich schlafen. Am frühen Morgen dann, kurz nach Tagesanbruch, löste sich nach vierzehn Stunden beständigem Unwetter die Vorderfront des Gebäudes und stürzte ein. Der Krach war über viele Häuserblöcke hinweg zu hören. Das Gebäude hatte zwar ziemlich solide gewirkt, aber die Mauer war voller Risse gewesen. Aufgelöst durch das viele Wasser, war sie schließlich zusammengebrochen. Das Gebäude sah jetzt aus wie ein Puppenhaus, wo man reingucken und alle Möbel sehen konnte. Alles schien so unwirklich. Es gab ein ziemliches Durcheinander. Die Feuerwehr zog zwei Tote aus den Trümmern, ließ uns aber weiterwohnen. Sie sagten, der Rest des Gebäudes sei stabil und gefahrlos.
Mein Zimmer war verschont geblieben, da es an der gegenüberliegenden Seite der eingestürzten Wand liegt. Am Nachmittag ging ich hinunter zu Dalia. Sie war ganz aus dem Häuschen. Die Hälfte ihrer kleinen Wohnung war mit der Vorderfront eingestürzt. Ihr waren nur Küche, Bad und ein Zimmer sowie die Wohnungstür mit einem Stück Diele geblieben. Es war ein eindrucksvoller Anblick, denn direkt neben der Tür klaffte der Abgrund, und dreißig Meter darunter lag die Straße. Auf einmal hatte ich das Gefühl, mich' in einem Albtraum zu befinden. Die Alte konnte nicht sprechen. Wie versteinert saß sie auf ihrem Stuhl. Ich ließ sie einfach sitzen.
Dann vergaß ich sie, nahm wieder mein Lotterleben auf. Einen Monat darauf hörte ich, dass sie tot sei. Die andere Alte, die gegenüber von ihr wohnte, erzählte es mir. »Dalia hat sich praktisch umgebracht. Seit die Mauer eingestützt
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