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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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war, nahm sie nichts mehr zu sich und saß nur noch in einer Ecke. Sie saß da, um zu sterben, und stand nicht einmal auf, um ein Glas Wasser zu trinken. Ich versuchte ihr zwei-, dreimal zu helfen, aber sie warf mich hinaus und verbot mir, mich in ihr Leben einzumischen.« Allzu betroffen war ich nicht. Hoffentlich würde ich auch dreiundachtzig und hätte noch ein paar Flausen im Kopf, und wäre es die idiotische Hoffnung, einen Partner zu finden und zu heiraten und an die Liebe zu glauben und dass Armut und Hunger bald der Vergangenheit angehörten.
     

 
     
Große Geister
     
    Der Mexikaner war Esoteriker und hatte eine Vorliebe für ausgedehnte Aufenthalte in Tepoztlán. Er behauptete, dorthin kämen Leute aus aller Welt, um sich mit kosmischer Energie aufzuladen.
    »Als ich mal in Tepoztlán war, habe ich nichts gespürt«, erzählte ich ihm.
    »Klar. Es geht nicht darum, dass dir Sachen übermittelt werden, sondern zu wissen, wie man sie empfängt«, erwiderte er mir. Dann erzählte er mir noch, es gäbe drei Orte auf dem Planeten mit solchen Emanationen. Der Typ war direkt aus Tepoztlán zu mir nach Havanna gekommen, um mir einen Brief von Freunden aus Morelia zu überbringen, und wir unterhielten uns ein wenig. Er erzählte mir, er habe nicht viel Geld, und blieb dann mehrere Wochen. Er kam mir vor wie ein Typ aus kleinen Verhältnissen, aber manchmal hatte ich den Verdacht, dass er der Sohn eines reichen Arschlochs war, der nichts besseres mit seiner Zeit anzufangen wusste. Nachmittags begab er sich in Yogastellungen und meditierte, den übrigen Tag las er Bücher oder ging auf dem Malecón am Meer spazieren. Er aß Roggenbrot und trank Tee aus Kräutern, die er selbst an den Hängen des riesigen Berges, der Tepoztlán überragt, gepflückt hatte. Alles easy. Es ist schön, einen jungen, stillen, esoterischen Mitbewohner zu haben, der sich selbst ernährt und keine Scherereien macht. Darum ließ ich ihn auch so lange bei mir auf einer Indianerdecke auf dem Boden schlafen. Ihn störten nicht einmal die Kakerlaken. Sobald das Licht aus war, kamen sie aus allen Ecken und Winkeln gekrochen und krabbelten frech und fröhlich umher. Er fand, das sei völlig in Ordnung, hatte so eine Theorie von friedlicher Koexistenz und erklärte mir, wenn er meditierte, gelinge es ihm, auf Beta-Ebene (oder Alpha, weiß ich nicht mehr) aufzusteigen, wo er die positiven Vibrationen der Viecher spüren konnte. Sehr gesprächig war der Typ nicht. Er sagte etwas von Stille, Konzentration, innerer Energie, aber ich habe nie richtig hingehört, denn ich konnte nicht einfach still dasitzen und mich in Meditationen versenken oder darauf warten, dass eine innere Energie meinem permanenten Mangel an Geld und Nahrungsmitteln abhalf. Zu der Zeit trieb ich einen kleinen Handel mit leeren Bierdosen. Ich suchte mir die Dosen aus den Müllcontainern in Miramar. Vor allem bei den Botschaften und ausländischen Vertretungen. Manchmal sammelte ich an einem Morgen bis zu zweihundert Dosen ein. Ich raspelte den Deckel auf dem Terassenboden ab und verkaufte sie zu einem Peso das Stück bei den Eisständen. Das Eis war wässriges, fast zuckerloses Zeug mit Zitrusgeschmack, nach dem die Leute eine halbe Stunde lang Schlange standen. Man kaufte mir die Dosen ab, weil die Stände nicht einmal Pappbecher hatten, nuckelte die Drecksplörre und dankte Gott, dass er ihnen die Gnade dieses Eises gewährte, das in den Neunzigern in Havanna so eine Art Geschenk des Himmels war. Im übrigen Land gab es nicht einmal Trinkwasser. Nichts als Hunger. Aber in Havanna gab's schon immer mehr zu finden, wie dieses Geschäft mit den Dosen. Angewidert sahen mir die Leute zu, wie ich mich durch die Müllhaufen wühlte. Ein paar Mal erwischten mich die Inspektoren von der Gesundheitsbehörde. Sie behaupteten, die Dosen seien schmutzig und quatschten was von Epidemien und so. Aber ich streite mich nicht. Ich bin es leid, zu streiten. Am Ende bin ich immer der Gelackmeierte. Also streite ich mich erst gar nicht mehr. Ich spiele den Halbtrottel, und man lässt mich in Ruhe. Manchmal denke ich, wenn man arm ist, sollte man lieber blöd als klug sein. Ein bisschen blöd und sehr hart (ein kluger Bettler ist entweder ein glänzender Selbstmordkandidat oder ein einsamer Spinner im Dienst der Weltrevolution, oder beides). Und bloß nicht jammern. Jammern und heulen und Mitleid bringen überhaupt nichts. Sie nutzen weder einem selbst noch anderen. Bloß kein Mitleid mit niemandem.

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