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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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die Hölle. Kurz darauf kam ich. Da ich seit Tagen allein gewesen war, verspritzte ich sehr viel Saft. Ich wollte, dass sie ihn mit dem Mund auffing, aber nichts zu machen. Also schoss ich drei ausgiebige Strahle auf den Tisch. Ich hasse es, meinen Saft so zu verschwenden. Sie wischte sofort auf. Dann setzten wir uns wieder, und sie stellte das Radio an. Sie versuchte, die Unterhaltung weiterzuführen, aber ich konnte mich auf nichts mehr konzentrieren. Ich wollte nur noch mit ihr schlafen. Wenn Carlos kommen sollte, würden wir ihn irgendwie loswerden. Aber nein. Ein vierundvierzigjähriger Mann darf einen solchen Wahnsinn nicht mehr vom Zaun brechen. Ich nahm mein Büschel escoba amarga und ging. Im Grunde genommen wollte ich mich auch nur ausruhen und endlich aufhören, mir das Leben zu komplizieren.

 
     
Leben auf dem Dach
     
    Ich wohnte jetzt ein bisschen komfortabler. Es war mir gelungen, ein Zimmer auf dem Dach zu ergattern, das nur zwei Nachbarn hatte. Und ich musste meine Geschäfte mit den Bierdosen aufgeben. Ich hatte viel Konkurrenz bekommen, und man musste einander auf den Müllhalden von Miramar weg-beißen wie die Hunde. An manchem Morgen kam ich auf nicht einmal zwanzig Dosen. Jetzt betrieb ich neue Geschäfte, und es ging mir besser.
    Das Zimmer war sauber, hatte eine Kochnische mit Kerosin-herd, ein eigenes Bad und viel frische Luft. Es ging aufs Meer hinaus und war auf dem neunten Stock eines anderen Gebäudes am Malecón. Die Nachbarn waren in Ordnung: ein altes Ehepaar, das sich ununterbrochen zankte, und ein Bolerosänger mit seiner Frau.
    Den Sänger hatte ich vor fünfzehn Jahren kennen gelernt. Damals hatte er eine eigene Band und war jung. Armandito Villalón y Los Cometas. Sie spielten Songs, die die Leute auswendig kannten. Einige wurden von dem Radiosender, bei dem ich arbeitete, zum »Wochenhit des Viertels« erkoren. Danach rannte Armandito dem Geld hinterher. Er löste die Band auf und begann jeden Abend in drei Nachtclubs allein zu Playback zu singen. Er verdiente viel Geld mit immer denselben Boleros. Bis er durch die Unmengen an Rum und Zigarren seine Stimme ruiniert hatte und aus seinem Magengeschwür Krebs geworden war. Er erlitt einen Herzinfarkt und wurde ganz dünn, verhärmt und faltig. Das Land wurde von der Krise der Neunziger erfasst, und der Typ legte sich noch ein paar Probleme mehr zu, als hätte er nicht schon genug davon: Er schloss sich einer Gruppe zur Verteidigung der Menschen-rechte an. Jetzt stand er mit dem Rücken zur Wand. Andauernd wurde er unter irgendeinem Vorwand für ein paar Tage eingelocht, zusammen mit richtigen Verbrechern.
    Jetzt sahen wir uns wieder. Ich war sein neuer Nachbar und begrüßte ihn wie früher, als ich noch beim Sender arbeitete und er seine Liedchen aufnahm. Aber der Mann war verbittert und wie besessen von Freiheit und Menschenrechten. Und er schob Hunger. Er hatte nur einen Job von Freitag bis Sonntag im Club Salem. Das Salem ist eine Spelunke im Zentrum Havannas. Ich bin mal eines Abends hingegangen, um was zu trinken und mir die Boleros von Armandito anzuhören. Ich ging nicht rein, weil die Tür vergittert war und ein dicker, wilder Gorilla davor stand, der auf- und zuschloss. Das gefiel mir gar nicht. Ich ließ mich doch nicht in einem widerlichen Club einsperren, wo sie einem schlechten Rum zu Wucherpreisen vorsetzten. Der Schwarze erzählte mir, so könnten sie Auseinandersetzungen unter Kontrolle halten, bis die Polizei käme.
    »Wenn es zu Schlägereien kommt, verriegele ich einfach die Tür, dann kommt keiner raus, bis ich sie wieder aufmache, ha, ha, ha«, teilte mir dieser Idiot mit dem Gesichtsausdruck eines Kretins mit.
    Ich erwähnte dies Armandito gegenüber am nächsten Tag, und er machte daraus sofort ein Menschenrechtsthema: »Ja, wir haben alle unsere Würde verloren. Dieses Land ist ein Gefängnis, in dem man es geschafft hat, jedem Einzelnen ein repressives Schema in den Verstand zu pflanzen. Die Lösung für jedes Problem lautet: Reglementierung, Gitter, Riegel, Disziplin, Kontrolle. Es ist unerträglich, Pedro Juan.«
    »Du machst dich verrückt, Kumpel. Ich kriege kaum meine eigenen Probleme in den Griff, wie sollte ich mich da noch mit den Politikern anlegen, mit diesen Arschlöchern, die am Ende doch nur tun, was ihnen ihr Schwanz diktiert. Das ist überall so. Politik ist die Kunst des Betrugs.« Das brachte ihn auf.
    »Deshalb sind wir, wie wir sind. Wegen diesem Pessimismus und Konformismus. Die Stirn

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