Pedro Juan Gutiérrez
Geld für einen Becher Nescafe besitze. Und ich mache mir Sorgen um meine seit Monaten anhaltende ständige Müdigkeit. Ich weiß nicht, ob es Anämie oder Aids ist. Dann wieder überkommen mich Depression und Traurigkeit. Und ich kämpfe weiter gegen die Angst. Kämpfen sagt sich so. Ich kann nicht allein kämpfen. Aber jeden Abend bete ich und bitte Gott, er möge die Angst aus meinem Herzen nehmen und die Verwirrung aus meinem Kopf. Angst und Verwirrung lahmen mich. Und Gott hilft mir, so gut er kann, und gibt mir kleine Zeichen.
Viele Jahre lang fühlte ich mich weit von dieser unsichtbaren, parallelen Welt entfernt. Als ich dreizehn war, schoss ich einmal einen Ball gegen das Kruzifix, das mir meine Mutter übers Bett gehängt hatte. Voller Wucht trat ich zu. Der Katechismus verlangte, dass ich ohne den leisesten Zweifel an die heilige Dreieinigkeit und an Adam und Eva glaubte. Von wegen! Ich konterte mit Darwin. Das löste in meinem Innern ein Erdbeben aus. Und kurz darauf begann die Invasion russischer Handbücher zum Marxismus und der Abendkurse in Revolutionslehre. Dann wurde ich zum Militärdienst eingezogen (in meinem Fall viereinhalb Jahre - ich gehörte schon immer zu den Glückspilzen, wenn es darum ging, Scheiße einzustecken).
Meine Einheit war in Rancho Boyeros, und immer am 16. Dezember konnten wir Rekruten den Pilgerzug der Frommen zum Gotteshaus von El Rincón mit ansehen. Die Pilger kamen, um den heiligen Lázaro um etwas zu bitten oder um ihm für etwas zu danken. Auf dem ganzen langen Weg, über viele Kilometer, schleppten die Tausende und Abertausende Ketten, Steine, Stäbe, Holzkreuze. Sie trugen Jutesäcke. Oder sie krochen auf den Knien, mit aufgerissener Haut. Andere dachten sich alle möglichen Arten von Folter aus. Wir fühlten uns diesen faszinierten Menschen und ihrer Heiligenverehrung sehr überlegen und weit von ihnen entfernt. So ging es vielen. Wir hatten einen großen Glauben. Dann wurde uns gesagt: »Ach, das ist doch alles Dreck, und wer das Gegenteil behauptet, den kaufen wir uns, und es ist nicht ausgeschlossen, dass er sich dabei die eine oder andere Ohrfeige fängt.«
Das sah dann so aus: Entweder bist du bei uns oder bei denen. Und entscheid dich schnell. So ist es immer im Leben: wenn du dich rasch entscheidest, gewinnst du, oder du verlierst. Wenn du dich nicht entscheidest, bist du ein Idiot, man schubst dich auf eine der beiden Seiten, und im Vorbeigehen bespuckt man dich und beschimpft dich als mittelmäßig und als kleinen grauen Mann. Und niemand möchte gern die Rolle vom grauen Mann zugewiesen bekommen. Also war ich jahrelang, wie ich zu sein hatte, und stolz darauf. Mit der gesamten Wahrheit in der einen Hand und der roten Fahne in der anderen. Dann kam der Zusammenbruch, und innerhalb weniger Jahre war alles nur noch Schall und Rauch. Aber man kann sich nicht nur treiben lassen. Entweder findet man etwas, woran man sich festhalten kann, oder man geht unter. Und der Gipfel des Ganzen ist, dass man inzwischen weiß, dass sogar der Regierungschef seine Kriegsfetische und Halsketten und zehn Santería-Ältesten zu seinem Schutz hat. Verfluchte Scheiße.
Na, jedenfalls begann um die Zeit für mich alles schief zu laufen. Ich war zu lange im Sturm umhergetrieben. Wenn du nirgends festmachen kannst und der Orkan immer stärker bläst, wird er dich packen, fortreißen und zerschmettern, so viel steht fest. Aus reiner Neugierde habe ich dann eine Spiritistin mit afrikanischem Hintergrund aufgesucht. Ich versprach mir nichts davon. Aber die Frau erzählte fünfundvierzig Minuten lang eine Wahrheit nach der anderen und beschrieb Leute, nannte sie beim Namen. Sie erzählte mir, was mit mir nicht stimmte und was ich dagegen tun könnte. Und wir setzten es um. Und hier stehe ich. Ich werde nichts davon verraten. Das geht nur mich an. Aber ich erlangte meinen Glauben wieder, und jetzt fahre ich hin und wieder nach El Rincón.
Ich gehe immer noch nicht so gerne zu all den Fetischverkäufern und umherschwärmenden Gläubigen und diesem Kerl, der den Altar bewacht und den Frauen befiehlt, ihre Arme beim Beten herunterzunehmen, wenn sie sich davontragen lassen (wir Männer beten schweigend, aber Frauen sind da anders, sie heben die Arme und seufzen und murmeln ihre Gebete). Der Kerl hat vor niemandem Respekt. Er will nur völlige Ordnung und Disziplin und Ernsthaftigkeit und Hingabe. Ich habe es satt, das immer wieder zu hören. Es ist das, was ich mein Leben lang war:
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