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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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müssen wir ihnen bieten, sie anklagen. Wir müssen kämpfen und die Wahrheit ans Licht bringen.«
    Der Typ war zum Zerreißen gespannt und laberte immer dasselbe. Wenn er nicht schnellstens damit aufhörte, würden auch ihm Elektroschocks blühen.
    Auf dem Dach hielt er einen Hühnerhof und zwei Schweine. Er und seine Frau waren beide besessen von diesen Viechern. Sie verbrachten Stunden damit, neben den Käfigen zu sitzen, sie wie hypnotisiert anzustarren und mit Gemüseresten zu füttern. Seit Beginn der Krise 1990 hielten viele Leute Hühner und Schweine im Hof, auf dem Dach und im Bad. So hatten sie wenigstens etwas zu essen. Seine Frau arbeitete in einer Arbeiterkantine und brachte Essensreste für die Tiere mit nach Hause. Auch sie war mager und verhärmt. Zu seinem Infarkt und dem Krebs ließ sich Armandito auch noch scheiden. Er überließ die Wohnung seiner Frau und seinen beiden Kindern und zog zusammen mit der Mulattin in das Zimmer auf dem Dach. Sie war damals sehr hübsch, eine große schöne Frau mit der fröhlichen, schelmischen Anmut der Mulatten. Jetzt nicht mehr. Jetzt war sie eingefallen, viel zu mager, obwohl gelegentlich noch Funken von ihr ausgingen.
    Das alte Paar im anderen Zimmer hatte auch noch einen Taubenschlag und einen Hühnerstall. Die Tauben wurden zu Zwecken der Santería verkauft. Der Alte war ein Santero. Er sagte nie ein Wort, war immer mürrisch, immer verzankt mit der Alten. Ich wusste nichts über sie. Sie grüßten kaum. So ist das. Sie hassen einen, weil man weiß ist. Na gut, okay, ich lernte sie nicht näher kennen, und mir fehlte auch nichts. Mit der Wohnung hatte ich keine Probleme, solange es kalt war und ein scharfer Wind vom Meer her wehte. Wenn es im April heiß wurde und windstill, hing über allem der Gestank von Scheiße, und Stechfliegen und Moskitos hielten Einzug. Es war unerträglich. Weder die Alten noch Armandito wischten je ihre Pferche. Na ja, nicht richtig jedenfalls. Manchmal kippten sie ein bisschen Wasser hin. Wir litten unter Wassermangel und mussten es eimerweise aus der Zisterne im Keller des Gebäudes heraufholen. Neun Stockwerke ohne Fahrstuhl. Alle fünf, sechs Tage stieg der Wasserspiegel in der Zisterne etwas an, dann wurde der Tank voll gepumpt, und wir kamen leichter dran, über den Wasserhahn.
    Das Dach wurde zu einer stinkenden Kloake, wo man tagsüber von den Stechfliegen, abends von den Moskitos gepiesackt wurde. Es war unmöglich, zu schlafen. Im Grunde genommen bin ich kein Freund von Wohlgerüchen. Bis heute kann ich mich nicht an das Parfüm einer Frau erinnern. Ich mag solche Düfte nicht. Vielleicht interessieren sie mich auch nicht. Hingegen werde ich nie den Geruch von Scheiße vergessen, der von dem Jungen ausging, der von Haien im Golf gebissen wurde. Er war ein Fischerjunge, der Thunfisch jagte. Er stellte ihnen vom Boot aus nach und zog eines nach dem anderen dieser herrlichen silbrigen Tiere an Bord, bis er plötzlich ins Wasser fiel. Drei riesige Haie waren den Thunfischen nachgeschwommen, zerbissen ihm die Eingeweide und rissen ihm ein Bein ab. Wir holten ihn rasch rein, lebend, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen. Alles geschah in weniger als einer Minute. Doch er starb sofort, verblutete, ohne zu sprechen oder zu begreifen, was ihm widerfahren war. Monatelang waren wir zusammen in dem Boot hinaus aufs Meer gefahren, aber ich kann mich weder an sein Gesicht noch an seinen Namen erinnern. Nur an den entsetzlichen Gestank des Jungen erinnere ich mich, an seinen zerrissenen Unterleib, an die offenen Gedärme, die seine Exkremente aufs Bootsdeck verspritzten.
    Es hat andere fürchterliche Gerüche in meinem Leben gegeben, aber darüber will ich jetzt nicht sprechen. Es reicht. Der Gestank nach Scheiße von den Hühnern und Schweinen zog immer mehr Kakerlaken an. Kakerlaken hatte es schon immer gegeben, aber jetzt gab's viel mehr. Und Ratten - riesige Viecher, die aus dem Keller des Gebäudes heraufkamen, fast vierzig Meter hoch. Sie kamen die Regenrinnen hoch, rannten zu den Käfigen und fraßen die Gemüse- und Essensreste, ehe sie wieder hinunter in ihre Nester flüchteten.
    Wir verstopften die Regenrinnen mit Steinen. Eines Tages sprang eine Ratte aus der Kloschüssel und rannte quer durchs Zimmer aufs Dach, schnell wie der Blitz. Ich konnte es nicht fassen. Es schien mir unvorstellbar, dass dieses Viech die Abflussrohre durch stehendes Wasser hindurch in die Toilette hinaufgekrochen sein sollte. Das schaffte mich. Es

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