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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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die ganze Zeremonie wohlbekannt.
    »Legen Sie die Hände aufs Wagendach, spreizen Sie die Beine, den Kopf zwischen die Arme, und sagen Sie kein Wort.«
    Er filzte mich, fand nicht einen Centavo und befahl mir, hinten einzusteigen. Sie stellten keine weiteren Fragen und fuhren mit mir direkt zur Wache. Zwei Stunden saß ich auf einer Bank und wartete. Schließlich wurde ich aufgerufen. Sie nahmen Protokoll auf. Ich erklärte immer wieder, dass man mich ausgeraubt hatte, eins ums andere Mal, aber man ließ mich nicht gehen. Ich ging zurück auf die Holzbank. Zum Glück war ich heute fix und fertig und hatte das Gefühl, gleich umzufallen. Bei anderen Gelegenheiten war ich viel energischer gewesen und hatte mich auf meine Bürgerrechte berufen und wer weiß, was noch, woraufhin sie sich darauf besannen, dass sie Polizisten waren und ziemlich fies sein konnten, und hatten mich in eine Zelle gesteckt. Ein paar Tage später erinnerten sie sich schließlich wieder an mich und ließen mich gehen, unter zwanzig Androhungen. Diesmal war ich diplomatischer, und sie ließen mich bis zum Schichtwechsel um sechs Uhr nachmittags auf der Bank sitzen. Nichts wurde mir erklärt. Dann kam der neue Kommissar. Er sah die gestapelten Papiere durch und rief mich laut.
    »Pedro Juan?«
    »Ja?«
    »Sie können gehen.«
    Ich sah zu, dass ich rauskam. An der Ecke der Wache, wo sich Zanja und Lealtad kreuzen, blieb ich einen Moment stehen. Mein Magen knurrte, als würden sich vier Hunde ineinander verbeißen. Ich konnte nicht mehr, musste irgendetwas tun, um nicht vor Hunger umzufallen. Ich ging ein paar Häuserblocks weiter, setzte mich auf den Bordstein und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, was mir nicht gelang. Ich war noch immer besoffen. Es musste ungefähr achtundvierzig Stunden her sein, seit ich zuletzt etwas gegessen hatte. Nur Flüssignahrung. Ob mir wohl noch Spuren von Blut im Alkohol verblieben waren? In meinem Kopf wüteten die Gregoria-nischen Gesänge der Mönche von Silos. Eine Zeit lang hatte ich sie mir mal alle angehört. So oft, dass ich sie auswendig kannte. Ich konnte mich nicht entsinnen, wo ich sie gehört hatte. Sie dröhnten in meinem Kopf wie ein Refrain. Ich schlug mir den Kopf, um wacher zu werden. Dann riss ich mich zusammen und ging weiter. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich ging. Offenbar übernahm der Autopilot das Kommando und lotste mich. Ich empfand eine innere Leere. Als hätte ich weder Eingeweide noch ein Herz oder sonst was. Ich war leer, ganz leicht. Automatisch setzte ich einen Fuß vor den anderen, und ein Gedanke war völlig klar: Du musst den Stier bei den Hörnern packen, Pedro Juan. Du musst aufhören, den Waschlappen zu markieren, und stark werden. Du nimmst alle Kraft zusammen, baust dich vor dem Stier auf und packst ihn bei den Hörnern und lässt nicht zu, dass er dich umwirft. O nein. Du besiegst ihn, wirfst ihn um und gehst glücklich deiner Wege. Bis der nächste Stier auftaucht und dich auf die Hörner nehmen will, und dann nimmst du wieder alle Kraft zusammen und zwingst auch ihn in die Knie. So ist es nun mal. Immer taucht ein neuer Stier hinter dem anderen auf. Immer ist da ein Stier zu bezwingen. Ich ging Zanja hoch Richtung Reina, hielt mich aufrecht, setzte langsam einen Fuß vor den anderen, schleppte mich voran. Ohne es zu wissen, entfernte ich mich von meiner Wohnung. Warum ging ich nicht zum Malecón? Warum schleppte ich mich nicht zum Malecón? Ich konnte an nichts denken. Irgendwie hatte auch der Autopilot die Orientierung verloren. Die gotische Kirche an der Ecke Reina und Belascoaín war geöffnet. Ich trat ein, setzte mich auf eine Bank, sah hoch zu den farbigen Fenstern, und natürlich schwollen die gregorianischen Gesänge so stark an, dass ich mich fragte, warum kein anderer sie hörte. Sie hallten so laut in mir nach, dass sie eigentlich jeder hören musste. Aber nein. Niemand hörte sie. Weiter geschah nichts. Ich war zu schwach, um zu beten. Entweder hatte ich keinen Wunsch, oder ich konnte nicht beten und danken. Nie hatte ich Gott um etwas gebeten, nur gedankt. Es gab meistens eine ganze Menge, wofür ich dankbar war, doch jetzt nicht. Ich war transparent, leer wie Luft. Ich stand auf und ging die Carlos III. hinunter, Unter den Linden. Es war eine gute Tageszeit, später Nachmittag, Abenddämmerung und Bäume. Cocktail-Stunde nannte es die schönste Frau in meinem Leben. Um diese Zeit bis zehn Uhr schlürfte ihr Mann in irgendeiner Bar einen Cocktail. Und

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