Peehs Liebe
Ãgäischen Meer eröffnen wolle.
Oben in unserer kleinen Wohnung hörte ich jedes Wort, das an der Theke gesprochen wurde. Wenn Vincentini auf seinen Verkaufsfahrten nach Kall kam, setzte er sich an die Theke und erzählte vom Perseus. Irgendwann spätabends torkelte er zu uns nach oben, paffte in der Küche seine Zigarren, klagte über schlecht gehende Geschäfte, sagte, ich müsse ihn wieder auf seinen Verkaufsfahrten begleiten.
Als ich mit Vincentini durch die Eifel fuhr, behandelte er Frauen gegen schmerzende Fingergelenke, Migräne, Angst, Depressionen, Verstopfungen. Bei Frigidität und Alterung setzte er die Elektrode mit kreisenden Bewegungen und schwacher Stromzufuhr circa fünf Zentimeter unter dem Nabel an, danach, wenn keine Wirkung eintrat, platzierte er sie jeweils dreiÃig Sekunden lang mit etwas stärkerem Strom unter die linke und rechte GesäÃfalte, dann klappte er den Gerätedeckel vorsichtig zu, stellte ihn zur Seite und öffnete die Schnalle seines Gürtels. Auf dem Koppelschloss war ein Adler mit einem Hakenkreuz in den Fängen, Eichenlaub und «Gott mit uns» eingeprägt. Vincentinis Behandlung war oft so wirkungsvoll, dass er mit offener Hose und verschmiertem Lippenstift auf dem Mund aus dem Haus einer Patientin floh. Mitunter fühlte Vincentini sich auf unseren Fahrten durch die Eifel von eifersüchtigen Ehemännern oder der Polizei verfolgt, raste dann unvermittelt in einen Feldweg und durch Wälder, wo wir uns versteckten, bis er meinte, wir hätten unsere Verfolger abgeschüttelt. Vincentini war gerichtlich verboten worden, Heilbehandlungen mit dem Perseus durchzuführen, was er jedoch ignorierte. Er schimpfte über die WeiÃkittel, die ihn angezeigt hatten. Er wollte noch seine gesamten Perseusgeräte verkaufen, er hatte Hunderte in einer geheimen Kate versteckt. Nur mit mir war er einmal in diesem kleinen Nest mitten in der Eifel gewesen, weil er dachte, ich könnte doch niemandem davon erzählen. Er sagte, der Perseus sei seine Altersversicherung,er werde ein vermögender Mann sein, wenn er alle Geräte verkauft habe. Er redete unablässig vom Perseus, seinen Verkaufsgesprächen, wie er die Leute von seinem Wundergerät überzeugte, konzentrierte sich deswegen kaum aufs Fahren, zitierte aus dem «Hyperion», erzählte, er habe als Soldat in Italien und Russland gekämpft und den «Hyperion» immer mit sich herumgetragen. Er habe das Buch auch dabeigehabt, als er von einem Kirchturm auf Menschen geschossen und einen Orden dafür bekommen habe. Er weinte, wenn er von seinen Gräueltaten berichtete, sagte,
in der Tat! es war ein auÃerordentlich Projekt, durch eine Räuberbande mein Elysium zu pflanzen. Nein! bei der heiligen Nemesis! mir ist recht geschehn und ich wills auch dulden, dulden will ich, bis der Schmerz mein letzt BewuÃtsein mir zerreiÃt.
Er weinte dann, hielt am StraÃenrand, legte seinen Kopf auf das Lenkrad und schluchzte. Ich war oft wochenlang mit Vincentini unterwegs und froh, wenn er mich endlich wieder zu Hause ablieferte.
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Ende Juni, als die Johannisbeeren reif waren, ging Annie nachts zu den Sträuchern am Zaun, pflückte die rot schimmernden Früchte und hielt sie Rosarius an den Mund. Der wachte auf, zog Beere für Beere mit seinen Lippen ab, zerdrückte das Innere zwischen Zunge und Gaumen und saugte genussvoll den sauren Saft heraus. Sie bemalte die Nägel seiner dürren, zitternden Finger mit Lack, stutzte seine buschigen Augenbrauen. Er lächelte sie an, er schien sich in wohlige Erinnerungen eingesponnen zu haben.
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I m Herbst lief ich wieder mit Kathy nach Keldenich, wir schlichen zur Wiese bei der Pension, stibitzten Berlepsch-Ãpfel, liefen zum Broog und setzten uns wie immer auf die Bank, von der aus man über die Baumkronen weit übers Urfttal schauen konnte. Kathy sagte, der Archäologe würde niemals wieder zu uns zurückkommen. Sie las mir Briefe vor, in denen er von StraÃen des Römischen Imperiums berichtete. StraÃen, StraÃen, StraÃen. Ich habe alle StraÃennamen behalten. Sobald ich einen hörte, war es mir unmöglich, ihn jemals wieder zu vergessen. Wir waren, seit wir nicht mehr in der Pension wohnten, jeden Herbst zu der Wiese gelaufen, hatten Ãpfel geklaut und waren zu unserer Bank am Fels gegangen. Kathy war in den letzten Jahren immer seltsamer geworden. Es gab
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