Peehs Liebe
herumgekommen war, die meisten jedoch ahntennichts von ihrer Herkunft, könnten sie aber leicht an der Anzahl ihrer Brustwarzen feststellen. Er stapfte in seiner Unterhose ins Maar, spritzte sich im seichten Ufer stehend Wasser unter die Achseln, rief uns zu, er sei von den Nazis zum Totenkopfschwimmer und Taucher ausgebildet worden, und paddelte wie ein Hund bis zur Seemitte, wo es lauwarme Strömungen gab, lag dort auf dem Rücken, führte Selbstgespräche und blickte in den Himmel. Später kam er voller Tatendrang wieder ans Ufer.
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«Es ist wieder jemand gestorben», sagte Annie zu Rosarius, der im Bett lag und vor sich hin murmelte. Sie hatte, seit sie auf der Risahöhe arbeitete, viele Tote gesehen, sie gewaschen, eingecremt, angezogen und ihre Haare gekämmt. Rosarius hatte seine Augen zugekniffen. Sie hatte Teelichter angezündet und die Deckenlampe ausgeschaltet. Die Lichter flackerten jetzt an der Wand. DrauÃen war es so dunkel, als gäbe es auf der Welt nichts auÃer diesem Zimmer. Sie saà am Bett, hatte ihre Turnschuhe ausgezogen und die FüÃe auf die Bettkante gelegt. Während sie ihre FuÃnägel im Kerzenlicht lackierte, redete sie mit Rosarius. Es beruhigte sie, neben Rosarius zu sitzen, ihre Nägel zu lackieren und ihm von sich zu erzählen. «Vielleicht sterben wir gar nicht und leben in Geschichten weiter», schloss sie und betrachtete ihre lackierten FuÃnägel.
Sie schlief im Sessel neben Rosarius ein. Als sie wach wurde, war es bereits früher Morgen. Sie hatte die ganze Nacht tief und fest geschlafen. Amselgesang hatte sie geweckt. Bellarmin kehrte gerade von einem seiner nächtlichen Ausflüge zurück, bei denen er meist ins Bergschadensgebiet zu den Sandhalden hinaufkletterte. Bellarmin ging jetzt zur Remise hinüber. Sie dachte, nicht hübsch genug für ihn zu sein, was sollte Bellarmin an ihr finden, ihre braunen Haare waren zerzaust, sie hatte ein wenig schief stehende Zähne, wenn sie lachte, sah man zu viel Zahnfleisch, vielleicht hatte sie dochschöne, rote Lippen, das hatte Gabriel immer gesagt, aber der war ein Lügner gewesen, wie alle Männer, mit denen sie bislang zusammen gewesen war. Sie schielte ein wenig und konnte niemandem richtig in die Augen schauen, ihr Gang erinnerte an einen dürren, streunenden Hund. Sie war fast dreiÃig, zu alt für Bellarmin und zu ungebildet. Sie hätte gerne mit ihm über die Dinge gesprochen, die Rosarius ihr erzählte. Bellarmin aber wollte allein sein, mit niemandem reden, schon gar nicht mit ihr.
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Z weimal in der Woche putzte Kathy nachmittags in der Schule. Vorher trank sie in der Cafeteria des Supermarktes Kaffee und unterhielt sich mit den Leuten. Ich saà bei ihr auf einer kleinen Eckbank im Schein einer Lampe, die herumschwirrende Insekten anzog. Immer wenn ein Tierchen ins Licht flog, knackte es leise. Kathy unterhielt sich gern mit Leuten. Wenn sie jemanden nett fand, sprach sie ihn an. Sie plapperte einfach drauflos über Gott und die Welt. So war es wohl auch mit dem Archäologen gewesen. Sie war ihm als junge Frau, noch vor dem Krieg, im Zug begegnet, er hatte alleine gesessen und Landkarten studiert, auf denen die römischen StraÃen in der Eifel eingezeichnet waren. Kathy hatte sich zu ihm gesetzt und ein Gespräch begonnen. Vielleicht hatte sie ihm ihr ganzes Leben erzählt, ein Leben, das fast nur aus Fantasien und Träumen bestanden hatte. Als der Archäologe sich beiläufig nach einer Ãbernachtungsmöglichkeit erkundigt hatte, hatte sie ihn bei der Hand genommen und hinter sich hergezogen. Sie hätten sich, eine ganze Nacht lang, geliebt und seien sich vorgekommen wie Mauersegler, die sich während des Flugs am Himmel miteinander paaren, sagte Kathy. Sie sagte auch, sie sei traurig, dass mir so etwas niemals widerfahren werde,
der Mensch sei schön und ein Gott, wenn er liebe,
aber sie wusste ja nicht, dass ich mich schon lange in Peeh verliebt hatte. Der Archäologe hatte sie damals zur Grabungsstelle am Ravelsberg mitgenommen, hatte ihr Ãberreste einer Villa Rustica gezeigt, Streckenabschnitte der RömerstraÃen, die sichauf dem Königsfeld gekreuzt hatten, dort, wo jetzt die Windkrafträder standen. Kathy sagte, der Archäologe sei sehr klug gewesen, er habe viele alte Sprachen gekannt. Sie hörte nicht auf zu hoffen, er würde irgendwann wiederkommen. Sie weinte, wenn sie von
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