Peehs Liebe
freute sich, herumtollen zu dürfen. Er spielte im Wald, stromerte schnuppernd durch das Unterholz. Alle paar Minuten kam er zu mir, um sich zu vergewissern, dass ich noch da war.
Ich saà auf einer Bank am Waldrand, sah über die hügeligen Wiesen und dachte an Peeh, stellte mir vor, wie sie in der Stadt lebte, die Universität besuchte, um Musik zu studieren, und abends in ihrer Wohnung in der Dämmerung am Klavier saà und übte. Ich schloss die Augen und hörte ihr dabei zu. Ich sah sie leibhaftig vor mir. Sie saà am Klavier im Zimmer einer Villa, von der man auf einen breiten, im Abendlicht schimmernden Fluss blickte. Schiffe zogen in der Dämmerung langsam den Fluss hoch. Lastkähne und Schiffe mit an Deck tanzenden Menschen unter bunten Lampions. Dann war es plötzlich still geworden. Peeh spielte nicht mehr. Sie war verschwunden. Ich hatte einen Schuss gehört. Niemals hätte ich geglaubt, jemand würde es fertigbringen, Socke einfach totzuschieÃen. Plötzlich stand ein Jäger, das Gewehr im Anschlag, vor mir, schrie, wieso ich den tollwütigen Hund frei herumlaufen lasse. Er wollte meinen Namen und meine Adresse wissen, so als wäre er die Polizei persönlich. Ich konnte ihm keine Antwort geben. Er zerrte mich hinter sich her, zeigte mir Socke, schrie, ob das mein Köter sei. Als er sah, dass Socke noch lebte, schoss er auf den Hund, bis er tot war. «Der hat doch Tollwut gehabt!», schrie der Jäger. Ich weià nicht, was dann mit mir geschah. Ich wurde wütend, griff nach einem dicken Ast und schlug auf den Mann ein, bis er still neben Socke lag. Dann bekam ich Angst, rannte weg und irrte bis zum Abend umher. Als ich zu Kathy kam, war Sartorius, der Dorfpolizist, da. Der Jäger lag im Krankenhaus, hatte mehrere gebrocheneRippen, blaue Flecken und eine Gehirnerschütterung. Er war ein einflussreicher Mann und wollte unbedingt, dass ich bestraft wurde. So jemand wie ich dürfe nicht frei herumlaufen, ich sei gemeingefährlich, sagte er. Eine Menge Leute waren derselben Meinung. Kathy besuchte den Jäger im Krankenhaus, bat ihn, mich nicht anzuzeigen, auch Evros versuchte, ihn zu beschwichtigen, selbst Sartorius legte ein gutes Wort für mich ein. Es half alles nichts. Ich bekam eine Jugendstrafe, weil ich nach Ansicht des Richters trotz meines Alters weder körperlich noch geistig strafmündig sei. Ich musste in ein Erziehungsheim an der Nordsee, so weit weg von Kathy, dass sie mich nicht besuchen konnte.
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Annie hörte Rosarius aufmerksam zu, wie er von seinen Irrfahrten erzählte, Irrfahrten in seinem Geist und in der Wirklichkeit, hörte, wie er pausenlos StraÃennamen von Dörfern, Weilern, kleinen Städtchen und Metropolen aufsagte. Es gab keine Reihenfolge, keinen nachvollziehbaren Zusammenhang. Er musste in Deutschland umhergeirrt sein, ohne zu wissen, wo er war, ohne sich verständigen zu können. Rosarius zählte jetzt einfach nur noch auf. Dann murmelte er «Wir dürfen nicht alles behalten, sonst verirren wir uns» und fuhr fort zu vergessen, indem er Orte, StraÃen und Dinge aufzählte. Sie vermutete, dass er zu dieser Zeit zweiundzwanzig Jahre alt und immer noch klein und stumm gewesen war. Jetzt aber redete er umso mehr. Manchmal wurde es ihr zu viel, sie verlieà sein Zimmer und fuhr mit ihrem Motorroller ziellos umher.
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I ch versuchte ständig, aus dem Erziehungsheim wegzulaufen. Einmal im Winter, als es schneite, rannte ich über matschige Felder bis zu einer LandstraÃe. Ich trug nur Hemd, Hose und Turnschuhe. Die Hose hatte ich am Stacheldraht zerrissen, als ich über die Einzäunung des Heims geklettert war. Ich rannte von der StraÃe in einen Wald, lief danach an einem militärischen Sperrzaun entlang, dann stundenlang über Felder und Wiesen. Es war bereits Abend, als ich eine kleine Bahnstation erreichte. Ich schlief auf einer Bank im Wartesaal. Am nächsten Morgen stand am Bahnhof ein Zug. Er fuhr an Flüssen entlang, durch Städte an Fabriken vorbei, durch Industriegebiete und Vorstädte. Der Zug hielt abends in München auf einem Abstellgleis. Ich stieg in einen anderen Zug, eine langsame Fahrt durch den Winter. Schneekristalle glitzerten auf einer weiÃen Ebene, der Zug schien so langsam zu fahren, dass man neben ihm hätte herlaufen können. Bald stieg ich wieder in einen anderen Zug, von dem ich annahm, er würde mich nach Hause
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