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Peehs Liebe

Peehs Liebe

Titel: Peehs Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Scheuer
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dieser Fahrten sah ich, als ich aus dem Zugfenster blickte, Peeh. Sie stand auf dem Bahnsteig. Ihr blondes Haar fiel auf einen blauen Rollkragenpullover. Sie lächelte, und ihr Atem blies eine dünne Haarsträhne beiseite.
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    Einmal nachts, als Annie bei Rosarius saß, vertraute sie dem alten Mann an, wie sehr sie Bellarmin liebte,
wie die wilden Ranken ihrer Liebe ihn umwuchsen.
Sie sprach fast schon wie Hyperion, war redselig und beschwingt, tanzte barfuß durch die weitläufigen Flure, setzte sich im Aufenthaltsraum ans Klavier. Ihr Fuß berührte das Pedal, ihre Finger schlugen einige Akkorde an, erinnerten sich an Melodien, die wie flüchtiger Duft im Raum schwebten.
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    I rgendwann glaubte ich, Kall würde nicht existieren. Ich dachte, es gäbe den Ort nur in meiner Fantasie, ich irrte umher und suchte ein Phantom. Immer wenn ich mich in ein Abteil setzte, verließen es die Leute nach kurzer Zeit, weil ich so furchtbar stank. Der Kontrolleur warf mich am nächsten Bahnhof hinaus, gab mir einen Tritt in den Hintern. Ich lief vom Bahnhof in die Stadt. Sie kam mir bekannt vor, ich hatte hier mit Kathy Werbekarten verteilt. Es war August, überall wimmelte es von Touristen und Pilgern. Der Heilige Rock wurde im Dom in einem luftdichten Glasschrein ausgestellt. Ich war müde und blieb auf einer Kirchenbank hocken. Vor mir auf der Bank knieten Leute, die flüsternd beteten. Es kam mir vor, als würden sie ein schönes Lied singen, das mich an zu Hause erinnerte.
    Als die Leute den Dom verließen, lief ich hinter ihnen her zum Bahnhof und stieg mit ihnen in einen Regionalzug. Ich blickte die ganze Zeit aus dem Fenster und lauschte. Ich hätte mich gern mit ihnen unterhalten. Das war das erste Mal überhaupt, dass ich gern mit jemand anderem als mit Peeh gesprochen hätte.
    Der Zug fuhr an der Kyll und später an der Urft entlang, er ratterte durch Jünkerath, Dahlem, Blankenheim, Nettersheim, am Zementwerk bei Sötenich vorbei und erreichte dann endlich Kall.
    Als ich ausstieg, schwor ich, nie mehr im Leben aus der Eifel wegzugehen. Ich überquerte den Parkplatz des Supermarktes und lief zur Gaststätte von Evros.
    Als Kathy mich sah, weinte sie vor Freude, sagte, dassich groß geworden sei. Sie hatte schon oft behauptet, ich sei ordentlich gewachsen, aber das war immer gelogen gewesen. Dann sagte sie, sie habe noch niemanden getroffen, der so fürchterlich stinke wie ich, und steckte mich sofort in die Badewanne. Besorgt erzählte sie, jemand habe bei der Polizei angerufen. Ich lag noch in der Wanne, als die Kriminalbeamten aus der Stadt kamen. Sartorius begleitete sie. Sartorius kannte mich von klein auf, wusste, dass ich gutmütig und ungefährlich war. Aber er hatte nichts zu sagen. Sie hörten nicht auf ihn, sondern zogen mich einfach aus der Wanne. Ich durfte mich nicht einmal abtrocknen. Kathy sagte ihnen, ich sei einfach nur nach Hause zurückgekommen. Ich würde niemandem etwas tun. Aber das war den Kripobeamten egal. Diesmal steckten sie mich in ein Gefängnis, aus dem ich nicht mehr fliehen konnte.
    In meiner Zelle versuchte ich mich abzulenken, summte leise und blätterte in Büchern aus der Gefängnisbibliothek, ein Blick auf die Seiten genügte, um zu wissen, was dort stand. Ich konnte mir alles einprägen und brauchte mich dabei nicht einmal anzustrengen. Ich begann auf der letzten Seite eines Buches, blätterte vor und zurück wie ein Idiot, der vor sich hin summend sinnlos in ein Buch starrt und nicht weiß, was er tut. Ich blätterte Bücher über Wüsten durch, über Mathematik, Gartenbau, Physik, Geschichte und Archäologie, lernte dabei alles, von Sergios, dem Märtyrer, der in einem römischen Kastell in der Wüste hingerichtet worden war, einem Ort, an dem auch Vater gewesen war. Ich wargerade bei Buch 941 auf Seite 39, als das Summen in meinem Kopf unerträglich wurde, als sei ein brummender Bienenstock darin eingesperrt. Ich konnte mich auf nichts mehr konzentrieren, alles wirbelte in meinem Gehirn durcheinander und veränderte sich. Drei Tage später erfuhr ich, dass Evros angerufen hatte, Kathy war spurlos verschwunden. Da stammelte ich zum ersten Mal ein paar Worte, hatte aber ständig dieses Summen im Kopf, das mal stärker, mal schwächer wurde. Nun sprach ich langsam und leise, zählte die Straßennamen jener Städte auf, in denen ich gewesen war. Ich

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