Peinlich peinlich Prinzessin
»hast du jetzt endlich Zeit, den Roman zu schreiben, den du immer schreiben wolltest. Und du kannst dich mehr auf die Schule konzentrieren, bekommst einen Studienplatz an einer guten Uni und lernst dort einen tollen Mann kennen, der dich Michael vergessen lässt.«
Klar. Weil das ja genau das ist, was ich will. Michael vergessen. Den einzigen Jungen - den einzigen Menschen -, in dessen Nähe ich mich jemals total ruhig und entspannt gefühlt hab.
Aber das hab ich nicht laut ausgesprochen. Stattdessen hab ich gesagt: »Weißt du was, Tina? Vielleicht hast du recht. Wir sehen uns morgen in der Schule. Versprochen.«
Und Tina ging glücklich und zufrieden nach Hause und dachte, sie hätte mich aufgemuntert.
Aber natürlich hat mich das, was Tina gesagt hat, kein bisschen getröstet. Wie auch?
Ich gehe morgen auf gar keinen Fall in die Schule. Das hab ich bloß gesagt, damit Tina weggeht. Weil es mich total erschöpft hat, mit ihr zu reden. Ich wollte einfach nur schlafen.
Und genau das werde ich jetzt auch machen. Das alles aufzuschreiben, hat mich noch mehr erschöpft.
Mich erschöpft es schon, einfach nur am Leben zu sein . Na ja, mal abwarten, was ist, wenn ich aufwache. Vielleicht entpuppt es sich diesmal wirklich nur als schlimmer Albtraum …
Dienstag, 14. September, 8 Uhr, immer noch zu Hause
Tja, das war wohl nichts. Ich wusste es in dem Moment, als Mr Gianini mit einem Becher heißer Schokolade ins Zimmer kam und sagte: »Aus den Federn, Mia! Schau mal, was ich für dich habe. Heiße Schokolade! Mit Schlagsahne! Aber die bekommst du nur, wenn du aufstehst, dich anziehst und zur Schule fährst!«
Er hätte mich niemals mit heißer Schokolade geweckt, wenn mein langjähriger Freund nicht auf brutalste Weise mit mir Schluss gemacht hätte und ich in einem Zustand abgrundtiefer Verzweiflung wäre.
Der arme Mr G, er hat sich wirklich Mühe gegeben. Echt wahr. Ich hab gesagt, dass ich keine heiße Schokolade will. Und dann hab ich ihm - sehr höflich - erklärt, dass ich nicht in die Schule gehe. Nie mehr.
Ich hab gerade meine Zunge im Spiegel angeschaut. Sie ist nicht mehr ganz so weiß wie gestern. Vielleicht hab ich doch keine Hirnhautentzündung.
Aber woran liegt es denn dann, dass mein Herz jedes Mal wie wild zu schlagen beginnt, wenn ich daran denke, dass Michael jetzt nicht mehr Teil meines Lebens ist?
Es könnte natürlich auch sein, dass ich Lassa-Fieber hab. Dabei war ich doch noch nie in Westafrika.
Dienstag, 14. September, 17 Uhr, immer noch zu Hause
Tina war nach der Schule wieder da. Diesmal hat sie mir Arbeitsblätter mitgebracht. Und Boris.
Boris war ein bisschen erstaunt darüber, mich in meinem Zustand zu sehen. Das weiß ich, weil er es mir gesagt hat. »Also, es überrascht mich ja schon, dass du dich davon, dass dein Freund mit dir Schluss gemacht hat, so fertigmachen lässt. Ich hab immer gedacht, du wärst eine Feministin.«
Aber dann hat ihn Tina in die Rippen geboxt und er hat nur noch »Uff« gemacht.
Das mit dem Lassa-Fieber hat er mir auch nicht geglaubt. Deswegen war ich, obwohl ich wirklich niemanden verletzen wollte - Gott weiß, dass ich keinem die Schmerzen wünsche, die ich gerade erleide - gezwungen, Boris daran zu erinnern, wie es ihm damals ging, als eine gewisse Ex-Freundin von ihm mit ihm Schluss gemacht hat. Damals hat er sich sogar einen Globus auf den Kopf fallen lassen, in dem verzweifelten Versuch, ihre Liebe zurückzugewinnen. Ich hab ihm gesagt, im Vergleich dazu sei meine Weigerung, zu baden oder aufzustehen, ja wohl noch harmlos.
Er gab mir recht. Obwohl er dann die Nase rümpfte und sagte: »Mia, kann ich das Fenster aufmachen? Ich finde es hier drin ein bisschen … stickig.«
Mir ist es total egal, dass ich stinke. Mir ist alles egal. Ist das nicht traurig?
Dass mir alles egal ist, machte es für Tina natürlich schwer,
mich in eine seichte Unterhaltung zu verstricken, worum meine Mutter sie bestimmt gebeten hat, um mich aus meiner Verzweiflung zu reißen. Tina hat versucht, mir Lust auf die Schule zu machen, indem sie mir erzählte, dass JP und Kenny die ganze Zeit nach mir fragen würden … besonders JP, der ihr auch einen Brief für mich mitgegeben hat - eine zusammengefaltete Seite aus einem Heft. Aber ich hatte überhaupt keine Lust, ihn zu lesen. Nach einer gefühlten Ewigkeit - es ist ziemlich traurig, wenn es selbst die besten Freunde nicht schaffen, einen aufzuheitern - sind Tina und Boris dann endlich abgezogen, und ich hab den Brief
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