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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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herzliches Gespräch mit einem ausgesprochen interessanten Mann zurück, der vor kurzem bei uns in Sawolshsk zu Besuch war. Es handelt sich um den entlassenen Stabsrittmeister der Gendarmerie, Bronislaw Weniaminowitsch Razewitsch . . .«
    Er machte eine Pause und wartete mit stockendem Herzen auf die Wirkung seiner Worte.
    Diese ließ nicht lange auf sich warten.
    Das Gesicht des Jessaul verzog sich angewidert.
    »Mit Razewitsch? Und was hat er Ihnen für Lügengeschichten erzählt, der Judenfreund?«
    »W-warum Judenfreund?«, fragte der Staatsanwalt verdattert. »Soweit mir bekannt ist, wurde ihm doch im Gegenteil von den Juden, das heißt von den Itzigs, großer Schaden zugefügt . . . Sie haben seine Karriere zerstört und ihn in den Schuldenturm werfen lassen!«
    »Und genauso schnell haben sie ihn auch wieder rausgeholt«, zischte Sawtschuk.
    »Also haben ihn die Juden freigekauft?«, stammelte der Staatsrat mit versagender Stimme. Ihm wurde schwer ums Herz.
    »Wer denn sonst? Dieser Pole soll um die fünfzehntausend Rubel Schulden gehabt haben. Wer außer den Juden hat so viel Geld? Die Synedristen haben sich bei ihm revanchiert, und man weiß auch wofür. Vor zwei Jahren haben unsere Jungs im Lipowezer Bezirk einen Landhauptmann hingerichtet, einen bekannten Judenfreund. Razewitsch hat die Untersuchung durch die Gendarmerie geleitet. Er hat alles ausgeschnüffelt und zwei von uns Russen ins Zwangsarbeitslager geschickt. Für diese Niederträchtigkeit hat ihm die ›Goel-Jisrael‹ sogar eine Dankesurkunde verliehen. Die haben diesen Judas aus dem Turm herausgeholt – damit er frei herumläuft und das rechtgläubige Volk zugrunde richtet. Die ›Goel-Jisrael‹ war das, niemand sonst kann es gewesen sein.«
    »›Goel-Jisrael‹?«
    »Ja, so heißt der Chazer von Rabbi Schefarewitsch: ein Geschwür, aus dem reinster jüdischer Eiter fließt. Ein Chazer, das ist, wenn Sie den Vergleich entschuldigen wollen, so etwas wie die bischöfliche Residenz, bloß jüdisch. Da gibt es zum Beispiel eine Synagoge und eine Jeschiwa, also eine Talmudschule. Schefarewitsch – das ist hinlänglich bekannt – ist ein aktives Mitglied des Geheimen Synedrions. Er trichtert seinen Zöglingen den Hass auf Christus und alles Russische ein. Und er lässt niemanden an seine kleinen Teufel heran. Vor allem fürchtet er, dass die russischen Frauen seine Zöglinge von ihrem Glauben abbringen könnten. Wer von denen sich mit einer Schickse einlässt, der ist für das Judentum verloren, der hat sich gewissermaßen für alle Zeit besudelt, so ist das bei denen.« Der Jessaul spuckte aus. »Die haben sich besudelt, he? Vor kurzem gab es hier mal so eine Geschichte. Ein Bauernmädchen wurde tot aus dem Fluss gezogen. Wir sind der Sache selber nachgegangen und haben herausgefunden, dass diese Schlampe mit einem Juden aus Schefarewitschs Chazer ging. Das haben die Juden spitzgekriegt, der Rabbi hat ihn zu sich zitiert und verlangt, dass er sie fortjagt. Aber er hat sich quer gestellt, er wollte partout nicht. Ich liebe sie und fertig. Also haben sie ihn nach Litauen geschickt. Und praktisch am nächsten Tag wurde das Mädchen aus dem Teterew gefischt. Es ist doch sonnenklar, dass sie ermordet wurde, und genauso klar, von wem. Aber die Judenfreunde hier in der Stadt wollten keinen Ärger. Sie wär’ aus Liebeskummer ins Wasser gegangen, hieß es. Da haben wir beschlossen, unser eigenes Gericht abzuhalten. Aber wir sind nicht mehr dazu gekommen – Schefarewitsch hat sich mit seinem ganzen Abschaum nach Jerusalem abgesetzt. Tja, so geht es bei uns zu!«
    Berditschewski hatte der Geschichte von der Ermordung des russischen Mädchens zuerst mit Skepsis zugehört. Aber dann kamen ihm plötzlich Zweifel. Unter den Juden gab es nicht weniger Verrückte als in anderen Völkern, wenn nicht mehr. Wer weiß, vielleicht gab es in Shitomir tatsächlich eine Art jüdischen Savonarola? Hoffentlich lief Pelagia in Jerusalem diesem fanatischen Rabbiner nicht über den Weg. Aber sie hatten ja keinen Grund zum Streit, Gott sei Dank.
    Der Geräuschpegel im Nachbarraum stieg an. Eine Stimme, die Berditschewski irgendwie bekannt vorkam, stach deutlich hervor. Unwillkürlich begann er zuzuhören.
    Die Stimme klang erkältet; gerade berichtete sie näselnd:
    »Ein Wichtigtuer, ein aalglatter, mit so-o-o-o ’nem Schnabel. ›Ich bin Staatsanwalt«, sacht er. ›Oberhauptrat und so wat.‹«
    »Ein Jude Staatsanwalt?«, unterbrach man ihn. »Du schwindelst,

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