Pelagia und der rote Hahn
Kolja!«
»Da ist ja der zwölfte von meinen Aposteln«, sagte Sawtschuk und schaute durch das Glas auf die krakeelenden »Leibgardisten«. »Er ist doch noch gekommen. Kolja ist der Leiter des Kiewer Abschnitts, er arbeitet als Träger im Hotel ›Bristol‹. He, Kolja! Komm her, ich will dir einen guten Menschen vorstellen.«
Matwej Benzionowitsch wurde es heiß und kalt. Seine schweißnasse Hand glitt in die Hosentasche und umfasste den Revolver. Sein Finger tastete nach dem klappbaren Abzug, aber der klemmte und wollte nicht klappen.
Der dicklippige Träger aus dem »Bristol« betrat das Kabinett, verbeugte sich, breitete mit den bekannten Worten »Es lebe Russland« die Arme aus. Dann hob er den Blick, sah Berditschewski an – und erstarrte.
IX
Schmulik – der Herrscher des Weltalls
Ein begehrter Bräutigam
Hätte Schmulik Mamser gewusst, dass er zum letzten Male die Sonne über der Heiligen Stadt Jerusalem, möge sie ewig währen, aufgehen sah, hätte er an diesem Morgen bestimmt freundlicher zu dem alten Himmelskörper aufgeblickt. So aber warf er nur einen mürrischen Blick auf die runde rosige Glatze, die gerade hinter dem Ölberg hervorschaute, kniff die Augen zusammen und brummte: »Explodier doch, du verdammtes Ding.« Gerade eben, vor höchstens fünf Minuten, hatte er seinen müden Schädel auf den in seinen Gebetsschal gewickelten Talmudband sinken lassen, der sich des Nachts in sein Kopfkissen verwandelte, und ratzbatz musste er schon wieder aufstehen.
Schmulik rieb sich die Seite, die vom Liegen auf dem harten Boden ganz abgestorben war, und reckte sich. Die anderen Schüler, die wie er in der Jeschiwah übernachtet hatten, machten ihre Betten, die alle ganz genauso aussahen wie Mamsers: eine dünne Unterlage und ein Buch oder ein Stofffetzen statt eines Kissens; eine Decke brauchte man im Sommer, Gott sei Dank, nicht. Die Gesichter der Jeschiwa-Schüler waren ganz zerknittert und verschlafen – nach dem Waschen würde man sie nicht wieder erkennen.
Während der fünfzehn Jahre seines Lebens hatte Schmulik insgesamt dreimal Gelegenheit gehabt, in einem richtigen Bett zu schlafen: zweimal, als er krank war, und dann noch ein Mal zur Feier seiner Bar-Mizwa. Ansonsten schlief er immer auf dem Fußboden oder teilte sich ein Lager mit drei, vier anderen, und das, sage ich Ihnen, ist noch schlimmer als auf dem Fußboden, deshalb kann man das nicht mitzählen. So war es im Shitomirer Cheder gewesen und später in der dortigen Jeschiwa, und so war es auch jetzt hier, in der Heiligen Stadt Jeruschalajim, möge sie ewig bestehen.
Aber was kann man verlangen, wenn jemand nicht Vater noch Mutter hat, nicht einmal irgendeine lumpige Tante um drei Ecken. Schmulik hatte das Licht der Welt nicht in einem Geburtshaus erblickt wie normale Kinder, sondern am Eingang zur Synagoge, in ein Stück Laken gewickelt. Zuerst hatte man Zweifel, ob er überhaupt ein Jude sei – vielleicht wollte ihnen ja bloß eine schamlose Schickse ihr Gör untergeschieben, weil sie dachte, es bekäme bei den Juden besser zu essen. Die Honoratioren der Gemeinde kamen zusammen und gingen lange mit sich zu Rate, grübelten und diskutierten, ob man das elternlose Balg nicht einfach in ein russisches Waisenhaus geben sollte. Jedoch Rabbi Schepetowker, die Erde möge ihm ein Federbett sein, sagte: »Es ist besser, einen Russen als Juden zu erziehen, als ein jüdisches Kind zugrunde zu richten, indem wir es in ein Heim zu den Gojim geben!« Und so wurde Schmulik beschnitten und Gottes auserwähltem Volke hinzugefügt. (Das schiere Grauen packt einen, wenn man daran denkt, dass es auch ganz anders hätte kommen können.) Hinzugefügt wurde er also, schön und gut, aber niemand brachte so viel Großzügigkeit auf, dem Beamten drei Rubelchen zuzustecken, damit er dem Kind auch einen hübschen Familiennamen gab, Sinaiski zum Beispiel, oder Jordanski; man hatte nicht mal einen Rubel übrig, damit er wenigstens kurz und schlicht Chajkin oder Riwkin oder irgend so etwas in der Art eintrug. Also war der Beamte natürlich sauer. Die anderen Schreiber machten sich ja auch schon mal einen Scherz mit so einem armen Namenlosen; der hieß dann auf einmal »Nachtigall« oder »Pfirsich«, oder, wenn die Nase besonders groß ausgefallen war, »Nasig«. Aber dieser verfluchte Goj verstand wohl unglücklicherweise etwas Jiddisch und verpasste dem bedauernswerten Schmulik in seiner ganzen Boshaftigkeit den schlimmsten Namen, den man sich vorstellen kann,
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