Pelagia und der rote Hahn
der von ihm verdienten Seligkeit zuteil. So gesehen war von dem verstorbenen Herrn Per-low nicht allzu viel zu erhoffen, denn er war Börsenmakler gewesen. Für das weltliche Wohl der Frau hatte er gesorgt, das ja, aber was das Danach anging – o weh. Das Interesse der Witwe an Schmulik Mamser war also nur allzu verständlich, denn es war schon absehbar, dass aus ihm mal ein großer Gelehrter würde, wenn nicht mehr.
Und manchmal dachte er sogar selber schon ans Heiraten. Ein erster zarter Flaum spross ja schon auf seinem Kinn. Sollte er etwa warten, bis ein richtiger Schnurrbart da war? Schließlich war er jetzt, ohne seinen scheußlichen Familiennamen, der in Shitomir zurückgeblieben war und bald vollkommen in Vergessenheit geraten sein würde, ein begehrter Bräutigam geworden. Er besaß zwar keinen roten Heller, aber wann hat ein Jude je Wert auf Reichtum gelegt? Gelehrsamkeit und ein guter Name sind allemal mehr wert als Geld, und einen illuj nimmt man sogar in jeder alteingesessenen Jerusalemer Familie mit offenen Armen auf. Die Sephardim heiraten zwar niemals aschkenasische Mädchen, weil die verzogen und eigensinnig sind, aber einen aschkenasischen Bräutigam nehmen sie gern, denn aus denen werden gute und treu sorgende Ehemänner.
Aber wozu brauchte er eine sephardische Familie, wenn es Madame Perlowa gab? Sie war gutmütig und häuslich, und dazu eine Frau mit Kapital, also würde sich Schmulik nicht durch die Sorge um das tägliche Brot von dem, was wichtig war in seinem Leben, ablenken lassen müssen. Sie war natürlich ganz schön dick und auch nicht gerade eine Schönheit, aber wie die Weisen sagen: körperliche Schönheit bedeutet nichts; und die Weisen müssen es ja wissen.
Und Raw Schefarewitsch sagte ja auch immer: heirate. Nächste Woche wollte er Schmulik zu Rabbi Menachem Ajsig bringen, damit er ihm erklärte, wie man richtig bei einer Frau liegt, ohne eine der Vorschriften der Thora zu brechen. Denn an der Vereinigung des Fleisches nehmen drei teil: der Mann, die Frau und DER, DESSEN NAME gesegnet sei.
Auf dem Weg zu Madame Perlowa fasste Schmulik einen Entschluss: Ich gehe hin und höre mir an, was Rabbi Menachem Ajsig sagt. Was ich nicht verstehe, lerne ich auswendig, und dann mache ich die Witwe meinetwegen glücklich und heirate sie. Ich hab lange genug auf dem Fußboden geschlafen.
Im armenischen Viertel fiel er in einen leichten Trab. Dort lebten Strolche, die die Juden gern mit Eselsmist bewarfen. Aber das war gar nichts gegen die Halbstarken aus der Arbeitersiedlung in Shitomir, die bewarfen einen auch schon mal mit Steinen.
Was würden Sie lieber ins Kreuz kriegen, wenn Sie wählen könnten: einen schönen scharfkantigen Pflasterstein oder ein Stück Eselsscheiße, das zwar erst kleben bleibt, aber dann von selbst wieder abfällt?
Eben.
Wie man es drehte und wendete, in jedem Fall ließ sich sagen, dass Schmulik im vergangenen Frühling die Lebensleiter kräftig nach oben geklettert war, genau genommen von ganz unten nach ganz oben, über Gott weiß wie viele Stufen. Aus dem Shitomirer Mamser war ein begehrter Bräutigam geworden, und zwar nicht irgendwo, sondern in der Stadt Jeruschalajim selbst, möge sie ewig bestehen.
Die rothaarige Schickse
Nach dem Mittagessen, das heute ganz besonders gut gewesen war, aalte sich Schmulik ein wenig auf den weichen Kissen im Hof. Und las Madame Perlowa aus der Thora vor. Sie verstand zwar kein Wort, hörte aber andächtig zu und wagte ihm nicht mit ihren Streicheleien zu kommen. Im Hof der Witwe wuchs ein richtiger schattiger Baum, eine ausgesprochene Rarität in der Altstadt. Man hätte ewig so sitzen können, aber er musste sich sputen und Zusehen, dass er zurück in die Jeschiwa kam. In der zweiten Tageshälfte wurden die Schüler von Raw Schefarewitsch selbst unterrichtet, und da durfte man auf keinen Fall zu spät kommen. Es machte keinen Unterschied, ob jemand ein illuj war oder nicht, er klatschte einem eins mit dem Zeigestock auf die Finger, und zwar saftig. Mit dem Fleische übte der Lehrer keine Nachsicht, nicht mit seinem eigenen noch mit dem anderer, denn der Körper gehört zum assja, der niedrigsten Sphäre der Erscheinungen, und verdient keine Nachsicht.
Sogar in der Jerusalemer Hitze kleidete der Raw sich so, wie es sich für einen aschkenasischen Weisen gehört, nämlich in einen schwarzen langschößigen Gehrock mit Samtkragen und ein strejmel aus Fuchspelz, unter dem die weißen Schläfenlocken hervorschauten, die
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