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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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voll heulen, aber sie wird kein Geld haben, und darum brauchen wir ihr die Kette auch nicht zurückzugeben. Ich werde sie also im Safe einschließen.«
    Matwej Benzionowitsch nutzte die Pause, um sich die »Spinne« genauer anzusehen und sich darüber klar zu werden, wie er mit diesem Menschen reden sollte. Vermutlich war es am besten, sich seinem Tonfall anzupassen.
    »Ich habe Ihnen nichts mitgebracht, Monsieur Golossowker«, sagte der Staatsrat, und seine Stimme fiel ganz von selbst in jenen Singsang, den er während der langen Jahre des Studiums und des Staatsdienstes für immer verdrängt geglaubt hatte. »Im Gegenteil, ich möchte etwas von Ihnen.«
    Der Wucherer zog die Hand zurück und kniff die Augen zu.
    »Werde ich einem unbekannten Menschen etwas geben, bloß weil er eine Melone trägt? Halten Sie mich für einen schlimasl?«
    Berditschewski lächelte zurückhaltend.
    »Nein, Monsieur Golossowker, Sie sind kein schlimasl. Der große Ibn-Esra hat gesagt: ›Wenn ein schlimasl sich einfallen lässt, Sargtischler zu werden, wird kein Mensch mehr sterben, und wenn ein schlimasl anfängt, Lampen zu verkaufen, dann geht die Sonne nicht mehr unter.‹ Aber Ihr Geschäft läuft ausgezeichnet, soweit mir bekannt ist.«
    »Soweit Ihnen bekannt ist?«, fragte Golossowker. »Mich würde ja interessieren, inwieweit Ihnen das bekannt ist? Wer sind Sie, mit Verlaub, und woher kommen Sie?«
    »Mordechaj Berditschewski«, entgegnete der Staatsanwalt mit einer Verbeugung und nannte den Namen, den er vor seiner Taufe getragen hatte. »Aus Sawolshsk. Ich weiß in der Tat einiges über Sie.« Er sah, dass sich das Gesicht des Inhabers bei diesen Worten anspannte, und fügte rasch hinzu: »Sie brauchen nichts zu befürchten, Monsieur Golossowker. Ich möchte Sie lediglich um etwas bitten, das jeder Jude gerne gibt – um einen Rat.«
    »Sie sind von Sawolshsk nach Shitomir gekommen, um Ephraim Golossowker um Rat zu fragen?« Der Wucherer kniff ungläubig die Augen zusammen.
    »Sie werden lachen, aber so ist es.«
    Ephraim Lejbowitsch lachte nicht, aber er lächelte – ein wenig beunruhigt, aber auch geschmeichelt.
    Berditschewski warf einen Seitenblick nach dem jungen Mann. Der schien vollkommen in seine Arbeit vertieft zu sein und nichts um sich herum zu hören und zu sehen.
    »Sprechen Sie, Monsieur Berditschewski, Kescha ist ein guter Junge, a jidische Harz, obwohl er auch ein kazap ist. Er weiß: Was in diesen vier Wänden gesprochen wird, bleibt auch in diesen vier Wänden.«
    Der Besitzer des jüdischen Herzens schien von dieser schmeichelhaften Einschätzung seiner Person nichts mitbekommen zu haben, er raschelte konzentriert mit den Seiten des Hauptbuchs und suchte irgendetwas.
    Gleichwohl sprach der Staatsanwalt mit gedämpfter Stimme weiter.
    »Ich habe in Sawolshsk eine Darlehens-Kreditgenossenschaft – so etwas Ähnliches, wie Sie hier haben. Nun, vielleicht ein winzig kleines bisschen größer.«
    Er deutete zwischen Daumen und Zeigefinger an, dass es wirklich nur ein kleines bisschen war.
    »Und wie haben Sie das hingekriegt? Sawolshsk liegt doch außerhalb des jüdischen Siedlungsgebiets? Haben Sie sich taufen lassen?«
    »Aber nein, was denken Sie«, erwiderte Berditschewski mit vorwurfsvoller Geste. »Wie heißt es, aus einem Schweineschwanz näht man keine Jarmulke. Aber das waren die reinsten makess, das kann ich Ihnen sagen. Ich musste mich in die erste Kaufmannsgilde einschreiben, und das ist kein zimes mit kompot, falls Sie das denken sollten. Allein die Eintragung kostete 565 Rubel, und außerdem muss man Großhändler sein, das ist eine zwingende Voraussetzung, aber wo gibt es denn einen Großhandel in unserem Gewerbe? Also musst du den Polizeimeister schmieren, a loch in kop!«, klagte Matwej Benzionowitsch bitter und versündigte sich an seinem armen Sawolshsker Polizeimeister, der wahrlich eine ehrliche Seele war.
    Er wunderte sich über sich selbst, wie leicht ihm die Ausdrücke seiner Kindheit wieder einfielen.
    »Eh, da haben Sie unsere Polizei noch nicht gesehen«, lächelte Golossowker betrübt. »Schlimmere arejlim habe ich nicht einmal in der Weißen Kirche getroffen.«
    Der Staatsanwalt blinzelte kurz irritiert, dann fiel ‚s ihm wieder ein: arejlim sind dasselbe wie gojim.
    Doch es war Zeit, zur Sache zu kommen. Berditschewski begann mit Vorsicht:
    »Es ist nämlich so: Jemand hat sich an mich gewandt, der ein Geschäft gründen will und dafür von mir ein Darlehen in Höhe von

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