Pelagia und der rote Hahn
dein Mann?«
»Ich habe keinen Mann.«
Sie wollte noch dazusagen: ›Ich bin Nonne‹, aber wie sollte sie das beweisen?
»Das ist schlecht«, sagte der Beg und schnalzte mit der Zunge. »Schon so ein altes Weib und noch keinen Mann. Das kommt davon, weil du so dünn bist. Aber egal, heiraten musst du trotzdem. Dein Vater soll dir einen Bräutigam suchen.«
»Ich habe keinen Vater.«
»Dann eben der Bruder.«
»Einen Bruder habe ich auch nicht.«
Der Beg verdrehte die Augen zum Himmel – seine Geduld ging allmählich zur Neige.
»Keinen Mann, keinen Vater, keinen Bruder. Und wer soll für dich Lösegeld zahlen? Der gute Onkel?«
Das klang so seltsam, dass Pelagia im ersten Moment ganz verdattert war. Aber dann begriff sie, dass er tatsächlich ihren Onkel meinte.
Gute Frage, dachte sie, gab es jemanden auf der Welt, der bereit gewesen wäre, Lösegeld für sie zu zahlen? Höchstens Bischof Mitrofani. Aber der war ja viel zu weit weg.
»Ich habe auch keinen Onkel«, antwortete sie traurig, fast hätte sie vor Selbstmitleid aufgeschluchzt. »Vielleicht lassen Sie mich ohne Lösegeld gehen? Es ist eine Sünde, Geiseln zu nehmen, in Ihrer Religion genauso wie in der unseren.«
Darüber war Daniel-Beg sehr verwundert.
»Warum denn eine Sünde? Ich war ein kleiner Junge, mein Papa« – er sagte papá, mit Betonung auf der Endsilbe wie im Französischen – das klang aus seinem Mund sehr ulkig – »war ein großer Naib, ein Fürst im Heer von Schamil. Die Russen nahmen Dshemal-ad-din, Schamils Sohn, und mich als Geiseln. Dshemal-ad-din kam zum Pagenkorps, ich zum Kadettenkorps. Dort habe ich Russisch gelernt und noch eine Menge anderer Dinge. Aber mein papá war ein sehr tapferer Mann. Er nahm eine russische Fürstin mit ihrem Sohn als Geiseln und tauschte mich gegen die beiden aus. Schamils Sohn dagegen blieb viele Jahre bei Zar Nikolaj in Gefangenschaft. Siehst du, die Russen nehmen auch Geiseln. Genau wie ich. Wovon soll ich sonst leben? Wovon soll ich meine Frauen und Kinder ernähren?« Er seufzte schwer. »Wenn du keinen Mann, keinen Vater und nicht einmal einen Bruder hast, dann ist es nicht gut, ein hohes Lösegeld zu verlangen. Dann muss mir halt der russische Konsul zehntausend Franken schicken, und du kannst gehen, wohin du willst. Morgen schreibst du ihm einen Brief, dem Konsul: ›Ojojoj, schreibst du, schick mir schnell zehntausend Franken, sonst schneidet mir der böse Baschi-Bosuk die Finger ab, und dann die Ohren, und dann die Nase.‹«
»Machen Sie das wirklich?«, fragte Pelagia und wurde ganz klein.
»Aber nein! Nur einen, den kleinsten.« Er hielt den kleinen Finger der linken Hand in die Höhe. »Finger hat man viele, um den einen ist es nicht schade. Wenn in zwei Wochen kein Geld da ist, schicke ich dem Konsul deinen kleinen Finger. Oh, oh, du bist ja ganz blass! Hast du Angst vor dem Fingerabschneiden? Na ja, wenn du willst, kannst du dir bei uns einen kaufen, ein kleiner Finger ist gar nicht teuer.«
»Wie denn – kaufen?«, stammelte die Gefangene.
»Hat dir der Konsul die Finger geküsst?«, fragte der Beg.
»N-nein . . .«
»Sehr gut, also erkennt er ihn nicht. Eine von unseren Frauen oder ein kleiner Junge schneidet sich den Finger ab, und du kaufst ihn. Der Konsul wird denken, es ist deiner. Wenn es eine Frau ist, gib ihr dein Kleid, freut sie sich. Wenn ’s ein Junge ist, kauf ihm einen Sattel oder einen silbernen Dolch.«
»Und was ist, wenn der Konsul trotzdem das Geld nicht schickt? Wir kennen uns doch gar nicht . . .«
Der Alte machte eine bedauernde Geste.
»Wenn er nicht mal nach dem Finger Mitleid mit dir hat, dann werde ich dich eben verheiraten. Mit Kurban vielleicht, dem ist die Frau gestorben. Oder mit Eldar, der hat eine ganz schlechte Frau, die ist immer krank, er braucht eine zweite. Also mach dir keine Sorgen, Frau, was kann dir schon passieren?«
Aber Polina Andrejewna wollte sich nicht beruhigen. Erstens durfte sie auf gar keinen Fall heiraten, weil sie ja das Keuschheitsgelübde abgelegt hatte; und zweitens passte es absolut nicht in ihre Pläne, längere Zeit in diesem Räubernest festzusitzen. Die Zeit verstrich, kostbare Zeit!
»Den Brief schreiben wir morgen«, sagte Daniel-Beg abschließend. »Jetzt habe ich keine Zeit. Wir müssen die uljad-el-mot ausrauben.«
»Wen ausrauben?«
Aber er ging, ohne sie noch einer Antwort zu würdigen.
Kurz darauf hörte sie das Getrappel zahlreicher Pferdehufe, dann wurde es still. Pelagia blieb mit ihrer
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