Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
blitzen, sonst gibt es Schatten, und außerdem muss man das Magnesium in Streifen auslegen, nicht in Häufchen, dann brennt es länger. Ein Stativ für die Aufnahmen von oben haben Sie natürlich nicht dabei, stimmt’s? Oh, diese Provinzschlafmützen, meine Güte . . .«
    Der Gerichtsmediziner hielt unterdessen den Kopf der Leiche an den Haaren und drehte ihn zur Seite.
    »Was für ein Schlag!« Er bohrte mit dem Finger vorsichtig in einem Loch, das etwa die Größe eines Silberrubels hatte. »Er muss mit einer unglaublichen Kraft und Wucht ausgeführt worden sein! Wie von einem Schrapnell. Der Schlag ist fast bis zum dritten Gehirnventrikel vorgedrungen, die Form der Wunde ist exakt oval, die Ränder glatt. So eine Schlagverletzung habe ich noch nie gesehen, nicht einmal in einem Lehrbuch.«
    »Jawohl, sehr ungewöhnlich«, stimmte Dolinin zu und beugte sich zu der Leiche hinunter. »Könnte es vielleicht ein Hammer gewesen sein? Jedenfalls eine satanische Kraft. Um die Augäpfel aus den Höhlen zu treiben, ich kann Ihnen sagen . . .«
    In der Kabine roch es nach trocknendem Blut, Pelagia wurde ganz flau. Das Schlimmste war, dass der üble Geruch sich mit dem Duft des Eau de Cologne vermischte, das der Kapitän der »Stör« verströmte. Dieser war gemäß der Dienstvorschrift bei der Untersuchung zugegen, hielt sich jedoch diskret abseits und vermied es, den Spezialisten vor den Füßen herumzulaufen.
    Die Schwester schloss die Augen und kämpfte gegen die Übelkeit an. Nichts auf der Welt ist so furchtbar und bedrückend anzusehen wie das entweihte, aller Würde entbehrende Mysterium des Todes. Und dazu noch diese besudelte Banknote . . .
    »An seinem Zeugungsorgan gibt es Spuren einer erst vor kurzem vorgenommenen Beschneidung«, berichtete der Doktor. »Die Narbe ist noch tiefrot, höchstens sieben oder acht Monate alt, würde ich sagen.«
    Pelagia wartete, bis Arzt und Fotograf ihre Arbeit beendet hatten und sich von der Leiche zurückzogen, dann bat sie den Untersuchungsführer um die Erlaubnis, ein Gebet zu sprechen. Sie kniete nieder und bedeckte als Erstes die Blöße des Toten. Dann zog sie das weltliche Stückchen Papier aus seiner leblosen Hand. Sie hatte erwartet, dass die steif gewordenen Finger sich weigern würden, ihr Eigentum freizugeben, aber der Fetzen ließ sich erstaunlich leicht herausziehen.
    Pelagia übergab das Beweisstück dem Untersuchungsführer und sagte:
    »Seltsam. Hat er etwa so geschlafen, mit dem Geld in der Hand? Oder hat er versucht, es dem Verbrecher zu entreißen, als dieser ihm schon den Kopf eingeschlagen hatte?«
    Dolinin schwieg einen Augenblick und schaute die bebrillte Ordensschwester interessiert an. Dann brummte er und rieb sich die Nasenwurzel kurz über dem Bügel seines Kneifers.
    »In der Tat. Sie haben eine gute Beobachtungsgabe, merci vielmals für den Hinweis. Nach Aussage der Begleiter Manuilas befand sich das Geld – oder, wie sie sich ausdrückten, der ›Schatz‹ – in einer Schatulle unter seinem Kopfkissen . . . Die Schatulle ist natürlich verschwunden. Hm . . . Den Schädel bis zum dritten Gehirnventrikel eingeschlagen und dann den Mörder noch am Kragen packen – das wäre allerdings eine reife Leistung. Verzeichnen wir es vorläufig unter der Rubrik »ungelöste Rätsel‹«
    Und tatsächlich schrieb er etwas in ein Lederbüchlein. Pelagia gefiel das: Der Mann zog keine übereilten Schlüsse.
    Dolinin gefiel ihr überhaupt sehr gut, weil er seine Arbeit gründlich und mit Verstand erledigte – man sah sofort, dass er ein Mann war, der das Handwerk eines Detektivs verstand und liebte.
    Mit seinem Untersuchungsführer hatte der Prophet Manuila also, sozusagen, Glück gehabt.
    Das Werk lobt den Meister
    Dabei hatte es zuerst noch ganz anders ausgesehen.
    Auf die Schreie der Nonne hin kamen die Leute zum Kabinenfenster gelaufen und veranstalteten ein furchtbares Spektakel. Den größten Radau machten freilich die »Findelkinder«. Als sie erfuhren, dass ihr Prophet ermordet worden war, erhob sich ein Jammern und Wehklagen:
    »Mama! Was für ein Unglück! Ochunwej! Hilfe! Elohim!« Am häufigsten aber fiel das Wort »Der Schatz! Der Schatz! Der Schatz!«
    Dann erschien der Kapitän auf der Bildfläche, aber anstatt für Ordnung zu sorgen, machte er das Tohuwabohu erst vollkommen – sei es, weil er vor Schreck ganz aus dem Häuschen war oder infolge eines gewissen Mangels an Nüchternheit.
    Jedenfalls verwandelte sich der Schiffsführer in einen Blitze

Weitere Kostenlose Bücher