Pelagia und der rote Hahn
ganz anderes als eine Linienkutsche!
»Na dann los, fahren wir!«, rief Polina Andrejewna aufgeräumt, obwohl der gute Steuermann sie aufs Strengste gewarnt hatte: In Palästina ist es nicht tunlich, sofort das erste Preisangebot anzunehmen, hier wird um alles endlos lange gefeilscht.
Aber soll man um einen Rubel schachern, wenn man in die Heilige Stadt Jerusalem reist?
»Fahren morgen«, sagte Salach, griff den Koffer seiner künftigen Passagierin und bedeutete ihr mit einem Wink, ihm zu folgen. »Heute geht nicht. Bald wird dunkel, und nachts nicht gut, viel Räuber. Komm, komm, habe schöne Platz für Nacht, bei Tante. Ein Rubel, nur ein Rubel. Und morgen wir fliegen schnell wie Vogel. Arabisch Pferdchen!«
Pelagia hatte Mühe, mit ihrem schnellfüßigen Führer Schritt zu halten, der sie durch das Labyrinth der engen Gassen leitete, die sich immer höher und höher den Berg hinaufwanden.
»Ihre Frau ist also Russin?«
Salach nickte.
»Natascha, Name Marusja. Wir wohnen in Jerusalem.«
»Wie bitte?«, fragte sie verwundert. »Also was denn jetzt, Natascha oder Marusja?«
»Meine Natascha heißt Marusja«, antwortete der Einheimische geheimnisvoll, und dann brach das Gespräch ab, weil der Anstieg auf der holperigen Straße die Pilgerin außer Atem brachte.
Der »schöne Platz«, zu dem der Führer Polina Andrejewna brachte, erwies sich als ein schlichtes Lehmhaus, in dem man der Reisenden ein kahles, jeglichen Mobiliars lediges Zimmer zuwies. Salach verabschiedete sich mit der Erklärung, es gebe im Hause keine Männer und deshalb dürfe er hier nicht übernachten. Morgen in aller Frühe werde er wiederkommen.
Als Schlafstatt diente der Reisenden eine dünne Matratze, als Waschgelegenheit eine angestoßene Schüssel, und die Rolle des Wasserklosetts übernahm ein kupferner Topf, der sie irgendwie an Aladins Wunderlampe erinnerte.
Die innige Andacht, vom Wesen her eine zarte und ephemere Substanz, hielt all diesen Widrigkeiten natürlich nicht stand. Sie fiel in sich zusammen und überzog sich mit einer grauen Aschenschicht, wie ein schwelendes Holzscheit in einem niedergebrannten Lagerfeuer. Die Nonne unternahm noch einen tapferen Versuch, den Zauberfunken wieder anzufachen, indem sie die Bibel aufschlug und sich in die Lektüre vertiefte, aber es gelang ihr nicht. Vielleicht störte sie auch das weltliche Gewand. Im Nonnenhabit lässt sich das heilige Beben eben leichter bewahren.
Als sie dann beim Waschen in den Spiegel schaute, war es mit ihrer guten Laune endgültig vorbei.
Da hast du ‚s! Auf Wangen und Nase prangten schon wieder die Sommersprossen – für jede Frau eine höchst betrübliche Erscheinung, aber für eine Person geistlichen Standes geradezu unanständig. Dabei hatte sie fest damit gerechnet, ihnen mit der Kamillenmilch und den Honigumschlägen ein für alle Mal den Garaus gemacht zu haben!
Die öde Wüste
Die ganze Nacht hindurch hatte sich die arme Frau Lissizyna auf ihrem harten Lager hin und her gewälzt, und gleich am Morgen, nach einer raschen Katzenwäsche, bezog sie Position an der Haustür, in Erwartung der baldigen Ankunft ihres Kutschers.
Es verging eine Stunde, verging noch eine Stunde, dann eine dritte. Kein Salach.
Schon begann die Sonne erbarmungslos zu brennen, und Polina Andrejewna konnte geradezu fühlen, wie die verdammten Sommersprossen an Farbe und Umfang Zunahmen.
Jetzt kam ihr das gestrige Erscheinen dieses orthodoxen Einheimischen schon nicht mehr wie ein »Zeichen des Himmels« vor, sondern eher wie ein gemeiner Trick, den Luzifer ersonnen hatte, um ihr Eintreffen in der Heiligen Stadt hinauszuzögern.
Während die Nonne unschlüssig überlegte, ob sie noch warten oder besser in den Hafen zurückkehren sollte, verstrich die Mittagsstunde – was wiederum bedeutete, dass sie die Postkutsche nach Jerusalem versäumt hatte.
Weil sie nun fürchtete, den Dreiuhrzug auch noch zu verpassen, machte sich Pelagia schließlich auf den Weg in Richtung Meer. Aber schon an der ersten Wegkreuzung zögerte sie – wohin jetzt, nach links oder nach rechts?
Genau in diesem Moment kam hinter der nächsten Ecke ein wackliges Gefährt hervorgerappelt, mit riesigen Rädern und einem Fetzen verblasster Leinwand als Verdeck. Obenauf thronte der hinterlistige Betrüger Salach und wedelte träge mit der Peitsche über den Rücken zweier magerer Gäule.
»Mein Hantur«, sagte er und zeigte stolz auf seine kümmerliche Equipage. »Meine Pferde.«
»Arabische Pferde?«,
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