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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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fragte Polina Andrejewna spitz und erinnerte sich schmerzlich an ihre gestrigen Träume von hochbeinigen Vollblütern, die sie geschwind über Berg und Tal in die wichtigste Stadt auf Gottes Erde trugen.
    »Natürlich arabische«, entgegnete der Betrüger unbeeindruckt und band den Koffer fest. »Hier alle Pferde arabisch, außer die jüdischen, jüdische bisschen besser.«
    Aber das war nicht einmal Salachs letzte Missetat.
    Der Karren rumpelte ins Zentrum von Jaffa und hielt vor dem Hotel »Europa« (sieh an, so etwas gibt es hier also auch, es wäre absolut nicht erforderlich gewesen, die Nacht auf dem Fußboden liegend zu verbringen!). Frau Lissizyna musste zur Seite rücken, und ein amerikanisches Pärchen ließ sich auf der Bank nieder. Das waren, wie sich herausstellte, keine Pilger, sondern Touristen, die eine Vergnügungsreise durch das »Holy Land« unternahmen und sich zu diesem Zwecke nach den aktuellsten Empfehlungen der Agentur »Cook« ausgerüstet hatten. Ein ausgemergeltes, schmutzstarrendes Kamel schleppte das umfangreiche Gepäck der Bürger aus der Neuen Welt.
    »Fünf Rubel habe ich dir bezahlt!«, zischte Polina Andrejewna Salach an. »Das war nicht abgemacht!«
    »Du bist dünn, noch viel Platz übrig, zusammen lustiger«, entgegnete der Sohn Palästinas unbekümmert und band den Zaum des buckligen Anhängers an der Rückseite seines Vehikels fest. »Mister, Missus, we go Jerusalem!«
    »Gorgeous!«, antwortete die »Missus« auf diese Ankündigung, und die Karawane setzte sich in Bewegung.
    Zum Zeichen des Protestes tat die Nonne so, als verstünde sie kein Wort Englisch, und verhüllte ihr Gesicht mit einem Tuch. Aber die Amerikaner hatten offenbar auch gar kein Verlangen nach weiteren Gesprächspartnern. Sie waren voller Energie, freuten sich unbändig über alles, was ihnen begegnete, knipsten in einem fort mit einem kleinen Fotoapparat, und das Wort »gorgeous« hörte man wenigstens zweimal in der Minute.
    Als das Fuhrwerk das offene Land erreichte, staffierten sich die Touristen (offensichtlich den Empfehlungen der Agentur Cook folgend) mit grünen Brillen aus, was gar nicht so dumm war, wie Polina Andrejewna sehr bald klar wurde. Erstens schützten diese Brillen vor der grellen Sonne, und zweitens kompensierte die Farbe der Brillengläser wahrscheinlich das gänzliche Fehlen grüner Farbtöne in diesem eintönigen Landschaftsbild.
    Man sah nichts als Staub und Steine. Sie fuhren jetzt durch jene Ebene, in der Josua, als er die Truppen der fünf Könige Kanaans verfolgte, ausrief: »Sonne, zu Gibeon halt an, und Mond, im Tale von Ajjalon!« Und die Sonne blieb in der Mitte des Himmels stehen, und ein weiterer Tag konnte nicht nach Westen enteilen.
    An einem ausgetrockneten Flussbett, der Stelle, an der David den Goliath besiegte, ließen die Touristen anhalten. Der amerikanische Gatte posierte mit rollenden Augen und einem Stein in der Hand, und die Gattin richtete lachend die »Kodak« auf ihn.
    Wagen europäischen und orientalischen Aussehens kamen vorbei, Menschen zu Pferd oder zu Fuß, wobei Letztere fast ausnahmslos russische Pilger waren, die in dieser Wüstenlandschaft seltsam unpassend wirkten. Polina Andrejewna dachte niedergeschlagen, dass Salachs »arabische Pferde« keinen Deut schneller vom Fleck kamen als diese rüstigen Männer und Weiber.
    Einige der Pilger stiegen zum Flussbett hinunter, in der Hoffnung, dort Wasser zu finden. Sie wühlten in dem trockenen Geröll, aber sie fanden keinen Tropfen.
    Gesprächsfetzen drangen zu Pelagia herauf: »Letztes Jahr hat hier einer von uns, aus Wjasma war er, großes Glück gehabt. Auf dem Rückweg war er, von Jerusalem, und da haben ihn die Räuber erwischt und abgemurkst. Welche Gnade, im Heiligen Land durfte er seine Seele dem Herrgott zurückgeben!«
    »Was für ein Glück«, riefen die Umstehenden voller Neid.
    Sie fuhren weiter.
    In der Ferne wurde eine Hügelkette sichtbar – die Judäerberge. Auf einer Bergkuppe erkannte Pelagia die Ruinen einer Festung (dem Aussehen nach eine Kreuzritterburg), und sie schüttelte den Kopf. Warum nur stritten sich die Menschen schon seit so vielen Jahrhunderten um dieses karge, unfruchtbare Land? War es das denn wert, dass so viel Blut dafür vergossen wurde?
    Wahrscheinlich sah diese Ebene zu biblischen Zeiten ganz anders aus, da gab es Flüsse, in denen Milch und Honig flössen, grüne Felder und Bäume. Jetzt aber war dies ein verdammter, gottverlassener Ort. Wie es beim Propheten

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