Pelagia und der rote Hahn
hundert Jahren. Aber er hat eine Russin geheiratet und ist zum orthodoxen Glauben übergetreten. Warum wollen Sie das denn so genau wissen?«
»Ach so, das ist was anderes«, sagte Vater Agapit beruhigt. »Aus England, das ist nicht so schlimm. Wahrscheinlich irische Wurzeln. Dann ist alles klar. Rote Haare, die können aus zwei Wurzeln abstammen, aus keltischen und aus jüdischen. Ich bin nur deshalb so in Sie gedrungen, damit ich nicht unwissentlich das Sakrament der Beichte entweihe. Es gibt heutzutage so viele Juden und Halbjuden, die sich in die orthodoxe Kirche einschleichen wollen. Der Jude an sich, der ist schon schlimm genug, aber ein getaufter Jude, der ist noch dreimal schlimmer.«
»Und deshalb haben Sie diesen Herrn davongejagt?«
»Dem hat man es doch an der Nase angesehen, dass er ein Itzig ist. Ich sage doch, ich habe ein gutes Auge. Ich dulde keine Gotteslästerung, und wenn sie mich auf dem Scheiterhaufen verbrennen!«
Pelagias Gesicht war ganz Anteilnahme angesichts solcher Opferbereitschaft, laut jedoch sagte sie:
»Aber unsere Kirche nimmt doch gerne Neubekehrte auf, auch solche jüdischen Glaubens . . .«
»Nein, nicht die Kirche, nicht die Kirche, sondern nur ein paar Narren von Geistlichen! Später werden sie jammern und mit den Zähnen knirschen, aber dann wird es zu spät sein. Wer ein schwarzes Schaf in eine Herde von weißen Lämmern nimmt, ist entweder ein Tor, oder er handelt auf Satans Geheiß!«
Und sogleich erläuterte der Pope seine etwas verworrene Allegorie:
»Die weißen Lämmer weiden an den saftigen Berghängen, unter Gottes wohlgefälligen Augen. Es gibt aber auch schwarze Schafe, und deren Weiden sind die kargen Niederungen der Erde, wo Disteln und Dornenbüsche wachsen. Die weißen Schafe sind die Christen, die schwarzen sind die Juden. Die Juden sollen ihre Dornen fressen, aber sich nicht in unsere Herde einschleichen und unser weißes Fell verderben! Auf dem Sechsten Ökumenischen Konzil hat es geheißen: Von einem Juden lasse dich nicht kurieren, geh nicht ins selbe Waschhaus wie er, und nimm ihn nicht zum Freund. Und damit Gottes Herde sich nicht mit räudigen Schafen vermische, dafür gibt es uns, Gottes Schäferhunde. Wenn ein fremdes Schaf sich in unsere Herde schleicht, werden wir es mit den Eckzähnen an den Hinterläufen packen und tüchtig durchschütteln, damit es allen anderen vergeht.«
»Und wenn es umgekehrt ist?«, fragte Pelagia mit unschuldigem Gesicht. »Wenn jemand aus der weißen Herde in die schwarze will? Es gibt doch solche, die sich vom Christentum lossagen und zum Judentum übertreten. Mir hat jemand von so einer Sekte erzählt, den ›Findelkindern‹ . . .«
»Diese Christusverschacherer!«, donnerte Vater Agapit. »Und der Anführer von denen, dieser Manuila, ist ein Teufel, der direkt aus der Hölle gesandt wurde, um den Menschensohn zum zweiten Mal ins Verderben zu stürzen! Man muss ihn in den Schmutz treten und mit einem Espenpflock durchbohren!«
Polina Andrejewnas Stimme wurde noch leiser, noch samtener.
»Vater, und dann hat man mir gesagt, dieser böse Mann habe sich aufgemacht ins Heilige Land . . .«
»Er ist ja längst hier, er ist hier! Er ist gekommen, das Grab des Herrn zu schänden. Ostern hat man ihn gesehen, wie er die Pilger in Versuchung führte, und bei manchem ist es ihm gar gelungen! Sogar die Juden wollten ihn schon steinigen, sogar denen ist er widerlich! Er ist geflohen, er hält sich verborgen, diese Schlange. Ach, wären nur meine Brüder hier!«
»Sie haben Brüder?«, fragte die Pilgerin naiv.
Agapit lächelte Furcht einflößend.
»O ja, und sogar viele. Nicht leibliche Brüder, sondern Brüder im Geiste! Krieger des rechten Glaubens, Wächter Gottes. Haben Sie schon mal von der ›Leibgarde Christi‹ gehört?«
Polina Andrejewna lächelte, als habe ihr der Pope etwas sehr Angenehmes gesagt.
»O ja, und ich habe auch in der Zeitung davon gelesen. Manche äußern sich wohlwollend, andere weniger. Es sollen ja Banditen und Pogromhelden sein, stimmt das?«
»Das sind die Lügen der Juden und ihrer Spießgesellen! Ach, meine Tochter, wenn Sie wüssten, wie sehr man mich hier drangsaliert!«, klagte Vater Agapit. »In Russland ist unser Leben erquicklich, dort wärmt uns die Heimaterde, und die Bruderschaft steht uns treu zur Seite. Dort sind wir stark. Aber allein in der Fremde, das ist schwer und bitter.«
Dieses Eingeständnis ging der teilnahmsvollen Zuhörerin offenbar ernstlich zu
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