Pelagia und der rote Hahn
Herzen.
»Wie?«, rief sie bekümmert aus. »Haben Sie denn hier im Heiligen Land keine Gleichgesinnten? Wer schützt denn die weißen Lämmer vor den schwarzen? Wo ist denn Ihre ›Leibgarde‹?«
»Dort, wo sie auch hingehört: in unserer russischen Heimat. In Moskau, Kiew, Poltawa, Shitomir.«
»In Shitomir?«, erkundigte sich Polina Andrejewna mit lebhaftestem Interesse.
»Ja, die aus Shitomir sind wirklich treue Krieger. Die geben den Juden kein Pardon, und am meisten sind sie hinter den Judenfreunden her. Wenn dieser verkommene Manuila sein schmutziges Werk in Shitomir angefangen hätte, oder wenn dieser Krummnasige, den ich gerade hinausgeworfen habe, es dort gewagt hätte, einer Person geistlichen Ranges zu drohen – die hätten was erleben können!«
Die Erinnerung an den gerade erst durchlebten Streit brachte Vater Agapit von neuem in Rage.
»Beim Archimandriten will er sich beschweren! Na, der wird seine Freude dran haben, dieser Herodes. Unser Hochehrwürdiger ist vom Dämon der Langmut besessen, ich stecke ihm wie eine Gräte im Halse. Man wird mich von hier verjagen, Schwester«, sagte der Eiferer bitter. »Mit meiner Unbeugsamkeit bin ich hier unerwünscht. Wenn Sie nächstes Mal beichten kommen, bin ich vielleicht schon nicht mehr da.«
»Sind Sie denn hier ganz allein?«, fragte Polina Andrejewna mit enttäuschter Stimme, und wie zu sich selbst fügte sie hinzu: »Ach, das ist es nicht, das ist es gar nicht.«
»Was meinen Sie?«, fragte der Pope verwundert.
Da ließ die Pilgerin alle Ergriffenheit von ihrem Gesicht fallen und sah Vater Agapit unverwandt an. Sie verspürte den unchristlichen Wunsch, diesem unangenehmen Menschen irgendetwas Grobes zu sagen – aber so, dass er’s auch verstand.
Also los, ich erlaub’s dir, sagte sie zu sich selbst und gab der Versuchung nach. Wenn ich den Habit trüge, dann wäre es eine Sünde, aber im Kleid ist es erlaubt, denke ich.
»Und Sie selbst sollen nicht jüdischer Abstammung sein?«, fragte Polina Andrejewna.
»Was?«
»Wissen Sie, Vater, ich habe an der Universität Vorlesungen in Anthropologie gehört. Deshalb kann ich Ihnen mit Gewissheit sagen: Ihre Mutter hat mit einem Juden gesündigt, oder vielleicht Ihre Großmutter. Schauen Sie doch in den Spiegel, wie dicht Ihre Augen beieinander stehen – Sie sind ganz offenkundig ein semitischer Typ. Dazu die knorpelige Nase, diese charakteristischen Ohren, und eine gewisse Kraushaarigkeit ist ebenfalls zu beobachten; aber was die Hauptsache ist, Ihre Schädelform ist unbezweifeibar brachykephal!«
»Wie ist die?«, schrie Vater Agapit entsetzt auf und fasste sich an den Kopf (der, wenn man genau sein wollte, eher dem langschädligen Typus angehörte).
»Nein, o nein«, sagte Pelagia kopfschüttelnd. »Ich werde keinesfalls riskieren, bei einem Juden zu beichten. Besser gehe ich zu Vater Jannuari und stelle mich in der Schlange an.«
Mit diesen Worten verließ sie das Zelt, sehr mit sich zufrieden.
Draußen vor dem Zelt stand noch ein einsamer Wallfahrer und wartete, dass er an die Reihe kam. Es war ein Mann mit einer großen Filzmütze und einem dichten Bart, der ihm fast bis zu den Augen reichte.
»Sie sollten besser zu einem anderen Priester gehen«, riet ihm Frau Lissizyna. »Vater Agapit fühlt sich nicht wohl.«
Der Bauer gab keine Antwort und wandte sich sogar von ihr ab – anscheinend wollte er sich vor der Beichte nicht mit dem Anblick einer Frau beschmutzen.
Aber als die Pilgerin sich entfernte, drehte er sich doch um und folgte ihr mit dem Blick.
Dabei summte er leise vor sich hin:
»Tch-jaah, tcha-hihaah . . .«
VIII
Die Leibgarde Christi
Berditschewski kriecht eine Laus über die Leber
Matwej Benzionowitsch war nicht wieder zu erkennen, er war förmlich wie ausgewechselt; alle redeten darüber – seine Untergebenen, seine Bekannten, und seine Angehörigen auch.
Wo waren seine frühere Sanftmut und seine Unsicherheit geblieben, die ihn bei jeder Kleinigkeit in Verlegenheit geraten ließ? Wo seine Angewohnheit, beim Gespräch sein Gegenüber niemals direkt anzusehen, ständig alle möglichen überflüssigen Füllwörter und Floskeln in seine Rede einzuflechten, irgendwelche »wissen Sie«, »wenn Sie erlauben«, »im Grunde genommen«, wo war sein Nuscheln? Und, nicht zu vergessen, sein komischer Tick, sich, sobald er sich in Schwierigkeiten wähnte, an seine lange Nase zu fassen und daran herumzudrehen wie an einer Flügelschraube?
Berditschewskis Mund, dessen
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