Pelagia und der rote Hahn
Dienststelle und Rang, vereinbarte einen Termin und hängte den Hörer wieder ein – sehr mit sich zufrieden; es wollte ihm scheinen, die Shitomirer Ermittlungen begännen mit einem guten Tempo.
Aber im nächsten Moment schon erwartete Berditschewski ein herber Schlag.
Der Empfangschef, der das Gästebuch aufgeschlagen bereithielt und sogar schon die Feder in das Tintenfass getaucht hatte, sagte achtungsvoll:
»Willkommen, Eure Exzellenz. Welche Ehre für unser Haus. Es ist sehr erfreulich, wenn es ein Jude zu Rang und Namen bringt.«
Der Portier, der daneben stand und von einem Bein auf das andere trat (und der exakt so aussah, wie ein Portier aussehen muss, nämlich mit Vollbart und Livree, bloß dass er dazu lange Schläfenlocken trug), fügte hinzu:
»Ojf ale jidri gesogt!« (»Möge dies allen Juden so ergehen«, jidd.)
»Wie kommen Sie denn darauf, dass ich Jude bin?«, rief Berditschewski verdutzt.
Der Empfangschef lächelte nur:
»In meiner Position kennt man sich mit Gesichtern aus, Gott sei Dank!«
»Ach, Herr General, das sieht man doch – ganz a jidische Kopp!«, sekundierte der Portier.
Matwej Benzionowitsch fluchte im Stillen auf seine Unvorsichtigkeit. Ehe der Tag um ist, weiß das gesamte jüdische Shitomir über seine geheimnisvolle Ankunft Bescheid, in den leuchtendsten Farben, versteht sich. Jetzt ist er schon »General« und »Exzellenz«, und bis zum Abend wird er es sicherlich bis zum Minister gebracht haben.
»Träger!«, rief der Staatsanwalt. »Nimm den Koffer und ruf eine Droschke!«
»Ajajaj, haben Sie etwas vergessen?«, rief der Empfangschef erschrocken.
»Ja, ich muss sofort zurück zum Bahnhof«, antwortete Berditschewski schroff und wandte sich zum Gehen.
Hinter seinem Rücken hörte er gerade noch, wie der Empfangschef zu dem schläfenlockigen Portier laut auf Jiddisch sagte:
»Diese Getauften sind schlimmer als die Gojim.«
Und der andere zitierte auf Hebräisch jene unheilschweren Worte des gestrengen Propheten Jesaja, die Matwej Benzionowitsch in seiner Kindheit so oft von seinem Vater gehört hatte: »Der Zusammenbruch aber trifft Empörer und Sünder insgesamt, die den Herrn verlassen, werden vergehen.«
Seine gute Laune war dahin.
Auf der Kiewer Straße, der Hauptstraße der Stadt, suchte der aufgebrachte Staatsanwalt einen »Salon de beauté« auf und erstand eine Flasche Haarfärbemittel (amerikanisches Patent) mit dem verlockenden Namen »blonder Engel«.
Er fand ein anderes Hotel, das »Versailles« (ein wahrer Euphemismus!), das er mit tief in die Stirn gezogenem Hut und hochgeklapptem Mantelkragen betrat.
Auf seinem Zimmer setzte er sich sogleich vor den Waschtisch und machte sich daran, sich in einen blonden Engel zu verwandeln (Augenbrauen nicht vergessen!).
Ach, wäre er nur eher darauf gekommen! Er befand sich hier doch im jüdischen Siedlungsgebiet und nicht in seinem behüteten Sawolshsk, wo einem nicht jedermann die Abstammung sofort an der Nase ablesen konnte.
Das Ergebnis übertraf alle Erwartungen. Matwej Benzionowitsch hatte sich ein wenig wegen seiner empörend unslawischen Nase gesorgt, aber die neu erworbene Blondheit hatte auch diese ins Lot gebracht: Was vorher eine jüdische Hakennase gewesen war, ragte jetzt als stolzer Bugspriet, als rassige Adlernase hervor.
Als der Staatsrat sein verwandeltes Gesicht im Spiegel betrachtete, konstatierte er darin sämtliche Merkmale fortgeschrittener Degeneriertheit des Adels, einschließlich Hohlwangen und fliehendem Kinn. Aber worüber wunderte er sich eigentlich? Selbst der verzauseltste Jude hat schließlich einen Stammbaum, um dessen Länge ihn sämtliche Romanows und Habsburger beneiden können.
Bevor Berditschewski sich auf den Kriegspfad begab, legte er zur Abrundung seiner Kriegsbemalung seinen Uniformrock an, auf dem die Sterne der fünften Klasse glänzten (dieser Judenfresser war nämlich nur »Hofr.«, also ein Beamter der siebten Klasse).
Er besah sich noch einmal von allen Seiten und war hoch zufrieden.
Unter Adligen
»Aber erlauben Sie mir eine Frage, Herr Berditschewski: Aus welchem Grund interessiert sich ein Staatsanwalt aus einem so fernen Gouvernement für die ›Leibgarde Christi‹ in Shitomir?«, fragte Semjon Likurgowitsch Gwosdikow, ein schlaffer Herr mit aufgedunsenen Wangen und kränklich gelben Augäpfeln.
Matwej Benzionowitsch missfiel an dieser Frage entschieden alles: das längere Schweigen, das ihr vorangegangen war, die Tatsache, dass es sich um eine
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