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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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ihre Handlungen, insbesondere solche, die jemandem Schaden an Eigentum oder gar an Leben und Gesundheit zufügen. Ab und an lese ich ihnen auch mal die Leviten, ganz väterlich, gewissermaßen, das muss manchmal sein. Diese Jungs sind doch rechte Hitzköpfe, und mancher von ihnen ist gar ein echter Raufbold; aber im Herzen sind sie rein. Man muss sie nur bisweilen ein wenig bremsen, damit sie nicht unnötig Porzellan zerschlagen.«
    »Da bin ich vollkommen Ihrer Meinung!«, rief der Besucher. »Ich bin überfroh, mich gerade an Sie gewendet zu haben. Verstehen Sie, genau aus diesem Grunde will ich ja selber eine ›Leibgarde‹ in Sawolshsk gründen, damit ich die Zügel in der Hand behalte und die Sache taktvoll steuern kann.«
    »Genau! Genau das tue ich auch, taktvoll steuern. Und bei unseren Jungs kann man sich wirklich einiges abgucken.« Gwosdikow schwieg gewichtig, so wie es sich für einen rechtschaffenen Mann gehört, der vor einer verantwortungsvollen Entscheidung jedes Für und Wider sorgsam abwägt. »Gut, Herr Berg-Ditschewski. Von Adligem zu Adligem. Ich werde Sie mit den richtigen Leuten zusammenbringen und persönlich erklären, mit welcher Absicht Sie zu uns gekommen sind. Ich selbst werde allerdings bei diesem Treffen nicht zugegen sein können, ich bitte ergebenst um Verzeihung . . .«
    Matwej Benzionowitsch hob die Hände: verstehe, verstehe.
    »Ich würde Ihnen auch empfehlen, Ihren Rang nicht unbedingt an die große Glocke zu hängen. Und noch etwas . . .« Gwosdikow schlug verschwörerisch die Augen nieder. »Ich werde Sie dem Jessaul als Herrn Ditschewski vorstellen, ohne ›Berg‹. Sie müssen entschuldigen, aber man hat hier auch von den Deutschen keine so hohe Meinung.«
    »Um Gottes willen, ich bin doch kein Deutscher!«, rief Berditschewski aufrichtig.
    Die Heimat in Gefahr
    Matwej Benzionowitsch bereitete sich gründlich auf die gefährliche Unternehmung vor, gleichwohl er sich ein wenig seltsam vorkam und dann und wann selbstironisch vor sich hin grummelte: »Jetzt schaut euch den bloß mal an, was für ein wilder Husar. Eine Kinderei ist das, um es beim Namen zu nennen, eine reine Kinderei . . .«
    Zunächst erstand er in einem Waffengeschäft einen »Lefoche«, einen sechsschüssigen Revolver mit sicherbarem Abzug, für neununddreißig Rubel. Zu dem sicherbaren Abzug sagte der Verkäufer: »Das ist eine sehr sinnvolle Vorrichtung, besonders, wenn man die Waffe in der Hosentasche trägt. So kann sie nicht von selber losgehen.« Als kostenloses »Werbegeschenk der Firma« wurde Berditschewski außerdem eine einschüssige Westentaschenpistole überreicht, die so klein war, dass man sie in der Handfläche verbergen konnte. »So etwas ist schlichtweg unentbehrlich zum Schutz gegen nächtliche Überfälle«, erklärte der Verkäufer. »Dieser kleine Mann hat eine für sein Kaliber ganz erstaunliche Durchschlagskraft.«
    Der »kleine Mann« besaß allerdings einen ganz gewöhnlichen, das heißt nicht sicherbaren Abzug, und kaum hatte der Staatsanwalt die Pistole in seiner Weste verstaut, wurde er sehr nervös. Er stellte sich vor, wie das Teufelsding, die Mündung nach unten gerichtet, auf einmal von allein losging und die Kugel mit ihrer erstaunlichen Durchschlagskraft seine Hüfte durchbohrte. Verflixt. . .
    Er steckte das Spielzeug in die Hosentasche.
    Nein, halt, so geht ’s auch nicht.
    Schließlich fand er die Lösung: Er zog das Hosenbein hoch und klemmte die Waffe hinter den Sockenhalter. Das Metall drückte ein wenig gegen den Knochen, aber das war auszuhalten.
    Die Nachricht, die Gwosdikow ihm ins Hotel schickte, war so kurz wie sonderbar: »Um Mitternacht an der Uferstraße unter der Laterne.«
    Damit war vermutlich der Fluss Kamenka gemeint, denn Shitomirs zentraler Wasserlauf, der Teterew, hatte wegen seines felsigen Ufers keine Uferstraße. Aber auch an der Kamenka gab es weder Brüstungen noch Geländer, noch sonst irgendwelche Merkmale einer normalen Uferstraße. Die geheimnisvolle Ortsbezeichnung »unter der Laterne« erklärte sich indes ganz von selbst. Es brannte weit und breit nämlich nur eine einzige Laterne, alle übrigen waren dunkel, ja sie schienen überhaupt keine Gläser mehr zu haben.
    Der Staatsanwalt entließ die Droschke und stellte sich in den schmalen Lichtkegel. Vom Fluss zog es feucht herauf, er schlug den Kragen hoch und begann zu warten.
    Um ihn herum war es stockfinster, es war rein gar nichts zu sehen.
    Logischerweise dünkte es Matwej

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