Pelbar 1 Die Zitadelle von Nordwall
bis auf einen, und das ist lange her. Vielleicht hast du recht, und die Welt erwacht wieder. Wir haben so lange nach den Städten im Osten als dem einzigen, Hoffnung ver-sprechenden Gerücht geblickt, und so lange schon gewinnen die Außenstämme mehr und mehr an Kraft, trotz ihrer Kriege und ihres wilden Lebens. Ich fürchte, ich bin nicht stark genug für so große Veränderungen, wie ich sie kommen sehe.«
»Ich werde treu sein, Protektorin.«
»Kannst du allen treu sein, denen du Treue ver-sprochen hast? Du trägst die Tätowierung der Sentani. Du hast bei den Shumai gelebt und mit ihnen gesprochen, und sie haben anscheinend Achtung vor dir, wenn sie dich kennen: Und doch bist du ein Pelbar, und alle diese Gruppen stehen sich feindlich gegenüber. Kannst du das alles bewältigen?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe es schon zu Mokils Bande gesagt, ich werde, wenn nötig, ein Opfer sein, aber kein Verräter.«
»Ich hoffe, daß du es bewältigst, Jestak. – Noch etwas: Warum hast du in Pelbarigan nicht erzählt, was du uns erzählt hast?«
»Du, Protektorin, bist viel vernünftiger als Excur, die Protektorin von Pelbarigan. Du schränkst wenigstens die strengen Höflichkeitsformen der Pelbar ein, wenn du einen Grund dafür siehst. In Pelbarigan hätte es nur ›Ja, Protektorin‹, ›Nein, Protektorin‹, ›Ich hatte unrecht, Protektorin‹ geheißen. Ich wäre zu le-benslangem Latrinendienst abgestellt worden, als Ausgestoßener und Unbrauchbarer. Natürlich hätte ich nichts anderes getan, als zu den Sentani zu fliehen, um wie ein Mensch leben zu können. Manchmal sind wir selbst unsere schlimmsten Feinde, Protektorin.«
»Und doch fürchte ich, daß das alles schon zu weit gegangen ist.«
»Jetzt müssen wir mit dem Strom schwimmen, Protektorin. Es wird zu Veränderungen kommen, ob wir es wollen oder nicht, und wir müssen uns anpas-sen. Das ist ein Grund, warum ich mir meine Verbannung hierher praktisch erbettelt habe. In einer Stadt, die fast doppelt so groß ist, gibt es keine Hoffnung auf persönliches Kennenlernen und alles wird Politik.
In Pelbarigan hätte man, glaube ich, nicht einmal den Gedanken akzeptiert, daß es ein Bittermeer gibt.«
»Nun will ich dich um einen Gefallen bitten, Jestak.«
»Er sei dir erfüllt, Protektorin.«
»Wir wollen ein Stillschweigen von einem Monat verkünden, ehe wir mit deiner Geschichte fortfahren.
Wir müssen sie langsam in uns aufnehmen.«
»Wie du willst, Protektorin.«
»Und noch etwas.«
»Ja, Protektorin?«
»Den Berg mit dem Feuer auf dem Gipfel hast du erfunden, nicht wahr?«
»Nein, Protektorin. Er war da. Man nennt so etwas einen Vulkan.«
»Ich verstehe. Gestatte mir noch ein Letztes, Jestak.
Ich mußte so viel lernen und mich so sehr verändern, um dir zu verzeihen und einzusehen, daß ich nicht wünschen darf, dich sterben zu sehen, wie ich es einmal für möglich hielt.
Nachdem du ja, um mehrere Ecken herum, fast ein Mitglied meiner Familie bist – nein, frage nicht weiter – muß ich mich deiner Loyalität, deiner persönlichen Loyalität, durch eine Umarmung versichern.« Sie ging auf ihn zu und schloß ihn in ihre alten Arme, und er legte zögernd die seinen um sie. »Du brauchst mit deiner alten Tante nicht so zaghaft umzugehen, Jestak.« Er lächelte im dunklen Raum und umarmte sie fester. »Ich kannte einmal einen Mann, der auch so jung und hart war«, sagte sie, »aber nicht so groß.«
Und damit entließ sie ihn, hielt ihn noch einmal zu-rück und sagte: »Ich brauche dich nicht daran zu erinnern, daß dies an unseren offiziellen Beziehungen nichts ändert und daß ich dich wie immer schelten und schimpfen werde.«
»Natürlich, Protektorin«, sagte Jestak, jetzt selbst ein wenig eingeschüchtert von soviel Neuem.
FÜNF
Es war tiefer Winter, als Winnt, um mit den neuen Schneegleitern umgehen zu lernen, Nordwall durch das westliche Drehtor verließ, von Ursa auf einem zweiten Paar der Bretter begleitet. Sie hatte ein kleines Bündel mit Studienmaterial auf dem Rücken. Es sollte eine kombinierte Exkursion werden. Winnt gewann allmählich seine frühere Kraft zurück und brauchte Übung und Training, ehe er seine Reise nach Norden antrat. Ursa sollte von seinem Wissen über die Wildnis profitieren. Das Gebiet war frei von den Herden, denen die Shumai folgten und daher sicher. Pelbar schnitten Eis auf dem Fluß, um es in den tiefen Höhlen unter der Stadt zu lagern. Die beiden blieben eine Zeitlang stehen und sahen zu, dann
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