Pelbar 1 Die Zitadelle von Nordwall
Westler auch sicher verstand. Der ausgemergelte Mann lachte.
»Hier, iß das!« sagte Ursa und nahm Reisebrot aus ihrem Bündel. Der Shumai aß, während sich Ursa auf ihrer unverletzten Seite in den Schnee legte und Winnt sich auf seine Fersen hockte. »Wir müssen ihn mit zurücknehmen«, sagte sie.
»Auf die Idee bin ich allmählich auch schon gekommen«, sagte Winnt. »Vermutlich bin ich nicht in der richtigen Position, um Einspruch zu erheben.«
»Nein, das bist du ganz sicher nicht. Und jetzt schneide ein paar Stangen ab, dann machen wir eine Schleppbahre. Du«, sagte sie langsam, »wie heißt du?«
»Das geht dich einen Scheißdreck an, du Krähenköder«, knurrte der Shumai. Aber er knurrte es ohne Haß.
»Nun«, gab sie zurück, »mir ist es egal. Hier ist noch etwas Brot. Iß es langsam, sonst kommt es dir nur wieder hoch.«
Jestak stand auf der Mauer und suchte den Horizont ab. Er rötete sich schon im Sonnenuntergang, als er endlich aus dem Westen einen dunklen Fleck kommen sah. Der Fleck teilte sich. »Das müssen sie sein«, sagte er zu dem Gardisten. »Aber anscheinend bringen sie noch etwas mit. Vielleicht ist es Wild. Ich werde ihnen entgegengehen.«
Als Jestak sie erreichte, war Winnt müde vom Schleppen und von seinem immer noch geschwächten Bein, und Ursa bewegte sich steif wegen ihrer Verletzung. Jestak drehte sich um und rief mit drei langanhaltenden Signalen auf seiner Pfeife die her-umwandernden Gardisten zu Hilfe. Dann nahm er die Schleppbahre und sprach den Shumai in dessen eigenem Dialekt an, handelte sich damit aber nur noch mehr Feindseligkeit ein.
Als die vier Gardisten herankamen, wurde die Gruppe zu den Mauern geleitet. Dort setzten sie die Schleppbahre ab. Der Gruppenführer, der dank seiner Aufgaben bei den Friedenswochen den Dialekt kannte, wandte sich an den Shumai und sagte: »Schwörst du bei deinem Gott Sertine, daß du nicht angreifen, zerstören, Listen aushecken, Leute aufhet-zen oder lügen wirst, solange du in unserer Obhut bist?«
Der Shumai lachte. »Ich schwöre gar nichts. Ich bin euch nichts schuldig, will nichts von euch, schwöre nichts. Glaubst du, ein Shumai braucht die Hilfe von Schweineschnauzen? Ich scheiße euch an! Gib mir meinen Speer, dann werde ich dich das Schwören lehren!« Er beendete seine Rede mit einem erstickten Hustenanfall. Die anderen standen schweigend da.
»Nun«, sagte Jestak, »wenn du es so willst, aber wir würden den Shumai bei der Friedenswoche im Frühling sagen, wie dein Name war und was mit deiner Gruppe geschehen ist, da du ja alleine sterben willst.«
»Was für eine Gruppe? Ich war allein, als ihr mich gefunden habt, oder nicht?«
»Wir wissen, daß die Shumai nie alleine jagen oder unterwegs sind. Sie laufen in Rudeln wie die Hunde.
Du bist also ein Ausgestoßener, gemieden von deinem eigenen Volk?«
»Jestak«, sagte Winnt. »Vielleicht will er seine Leute schützen, weil er glaubt, wir stellen ihm eine Falle, um sie zu töten.«
»Vielleicht«, sagte Jestak.
»Verfluchter Mist«, murmelte der Shumai. »Ihr dreckigen Schweineschnauzen!«
Nach einigem Hin und Her bauten die Pelbar eine kleine Schutzhütte außerhalb von Nordwall und ver-sorgten den ausgehungerten Mann mit Nahrung. Zuerst mußten sie ihn füttern, aber er erholte sich bald und begann selbst zu essen. Am Morgen sahen sie an den Spuren, daß er versucht hatte, sich zu entfernen, aber gestürzt und dann zur Schutzhütte zurückgekehrt war, wo man einen Vorrat von Nahrungsmitteln für ihn zurückgelassen hatte. Jestak sah kurz nach der Morgendämmerung zu ihm hinein.
»Wo gehst du hin, Pelbar? Hast du keine Angst?
Glaubst du nicht, daß du dich einschließen solltest?«
»Nein, du Starrkopf. Ich will die suchen, die du zu-rückgelassen hast. Sie sind bestimmt in irgendwelchen Schwierigkeiten. Die Herden sind schon lange aus dieser Gegend fortgezogen, und sie müssen in noch schlechterer Verfassung sein als du.« Er trug ein schweres Bündel.
»Du Schwein. Ich bin ein Ausgestoßener, wie du gesagt hast. Es gibt keine anderen. Welcher Shumai wäre im Winter hier? Wir könnten mit dem blanken Eis und den kleinen Hirschen nichts anfangen.«
»Und doch bist du hier.«
Und Jestak glitt nach Westen über den Schnee, während der Shumai voller Angst in der Schutzhütte lag und zu sich selbst sagte: »Oh, Sertine, bitte, verzeih mir, Sertine.«
»Du Idiot«, sagte die Mejana zu Winnt. »Warum hast du zugelassen, daß sie läuft, wenn sie so verletzt
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